Landwirtschaft der Zukunft – eine progressive Vision

Die Diskussionen über die Landwirtschaft reißen nicht ab. Tierhaltung, Pflanzenschutz, Gülle geraten immer wieder in öffentliche Kritik. Dazu stellen Klimawandel, der Verlust der Artenvielfalt und das weltweite Bevölkerungswachstum die Landwirtschaft vor weitere große Probleme. Landwirt:innen fühlen sich von diesem Spannungsfeld und den daraus resultierenden Ansprüchen von Politik und Gesellschaft nicht selten überfordert. Landwirtschaft ist seit jeher geprägt von Tradition und Innovation, von Erhalten und Erneuerung und so wird sie sich auch zukünftig verändern und doch mit Nahrungs- und Rohstoffproduktion sowie Landschaftspflege die Grundlage unserer Kultur und Gesellschaft bleiben.

Während in vielen anderen Bereichen des täglichen Lebens (technischer) Fortschritt willkommen geheißen wird, werden an die Landwirtschaft Ansprüche nach Natürlichkeit gestellt und ein Bild von urtümlicher Landwirtschaft romantisiert.

An der Frage, wie die Landwirtschaft in Zukunft aussehen soll, entzünden sich an der Konfliktlinie zwischen “Weiter so” und “Zurück” regelmäßig scharfe Diskussionen. Bei der “Progressiven Agrarwende” sind wir der Meinung, dass beides keine guten Lösungen sind. Der Handlungsbedarf ist groß, doch die Vergangenheit gibt uns nur wenige geeignete Anhaltspunkte. Nie zuvor haben so viele Menschen auf der Erde gelebt, wie heute. Nie zuvor haben so wenige Menschen in der Landwirtschaft gearbeitet. In diesem Widerspruch hat sich Landwirtschaft in den letzten Jahrzehnten vor allem der ertragreichen Produktion verschrieben. Nur so war es möglich, dass trotz des rasanten Bevölkerungswachstums immer weniger Menschen Hunger leiden. Erstmals in der Geschichte Europas kennt eine ganze Generation nur volle Lebensmittelregale.

Doch diese intensive Produktion baut auf einem großen Ressourcenverbrauch. Energieintensiv produzierte oder fossile Dünger wie Stickstoff und Phosphor, Energie für Maschinen, Pflanzenschutzmittel. Dazu bieten ausgeräumte Landschaften nicht mehr die Lebensräume, die Landwirtschaft über Jahrhunderte in der Kulturlandschaft geschaffen hat. Die hohe Arbeitsteilung konzentriert Probleme wie Nährstoffüberschüsse aus der Tierhaltung oder enge Fruchtfolgen regional.

Die Diskussion über mögliche Lösungsstrategien und konkrete Maßnahmen ist vielschichtig. Doch wir denken, dass es zunächst einmal eine Vision der Zukunft geben muss. Eine Zielsetzung, wohin es denn gehen soll. Um zu sehen, ob wir uns überhaupt einig sind, wie eine zukünftige Landwirtschaft aussehen soll. Und um bewerten zu können, inwiefern unterschiedliche Maßnahmen auf die Erreichung dieser Ziele einzahlen.

Wir wollen im Folgenden eine Landwirtschaft skizzieren, wie sie im Jahr 2050 aussehen könnte. Eine Landwirtschaft, die zwischen all den Zielkonflikten einen Weg gefunden hat, genug gute Lebensmittel für 9 Milliarden Menschen und Rohstoffe für eine nachhaltige Bioökonomie zu produzieren. Dabei den Ressourcen- und Flächenverbrauch auf ein Minimum reduziert hat und eine artenreiche Kulturlandschaft erhält.

Eine progressive Vision einer Landwirtschaft 2050

5 Uhr früh, Bäuerin Amelie Andersen ist schon vor dem ersten Kaffee auf dem Weg zur Weide hinter ihrem Hof. Seit 200 Jahren bewirtschaftet die Familie diesen nun schon. Vor 30 Jahren, als ihre Eltern den Hof führten, war die Stimmung schlecht in der Landwirtschaft. Die Preise im Keller, die Arbeitsweise in der Kritik, politischer und gesellschaftlicher Druck von allen Seiten. Mit Traktor-Korsos machten sie damals auf ihre missliche Lage aufmerksam. Auch Familie Andersen stand vor der Wahl: Aufgeben oder den Betrieb für die Zukunft umbauen. Sie haben sich fürs Weitermachen entschieden und den Betrieb weiterentwickelt.

Eine der ersten Maßnahmen war die Integration von Artenschutzmaßnahmen in den Ackerbau. GPS-Gesteuerte Landtechnik ermöglichte es, Blüh-, Busch- und Gehölzstreifen an die Arbeitsbreiten der Maschinen angepasst in die Produktion zu integrieren. Ohnehin erübrigte sich die Notwendigkeit von möglichst großen, rechtwinkligen Schlägen, als immer mehr Drohnen und immer kleinere Feldroboter die Pflegearbeiten übernahmen. Satelliten- und Drohnenbilder ihrer Felder zusammen mit Wetterdaten und Prognosemodellen helfen ihr, Feldarbeiten genau zu planen und Maßnahmen zum richtigen Zeitpunkt durchzuführen. In flexiblen Schwärmen summen ihre Helfer über die Felder, hacken Unkraut, sammeln Schädlinge ab, verteilen bedarfsgerecht den Dünger. Allerdings brauchen die Pflanzen auch weniger Pflege als früher. Gezielt wurden sie züchterisch an ein Anbausystem mit geringen Inputs angepasst. Mit einem leistungsfähigen Wurzelsystem erschließen sie sich auch in längeren Trockenperioden Wasser und nehmen die gedüngten Nährstoffe nahezu vollständig auf. So konnten Nährstoffverluste in die Umwelt stark reduziert werden. Gegen Schädlinge wie Pilze oder Viren, welche die Drohnen nicht absammeln können, kombinieren die Pflanzen verschiedene Resistenzmechanismen. Für viele Jahre gab es große Diskussionen darum, ob auch gentechnische Züchtungsmethoden für diese Ziele eingesetzt werden dürfen. Doch heute ist es selbstverständlich, alle Werkzeuge zu nutzen, um die Landwirtschaft nachhaltiger zu machen.

Die Tierhaltung hätten sie fast einstellen müssen. Die Preise waren schon in den 2020er Jahren nicht mehr kostendeckend. Außerdem geriet die damalige Tierhaltung immer mehr in die Kritik und Ersatzprodukte wurden besser und damit auch immer beliebter, gerade für verarbeitete Formen von Fleisch wie Wurst oder Burger. Auf dem verbliebenen Markt konnte Amelies Familie sich aber mit einer kleinen Rinderherde behaupten, die gleichzeitig einen wichtigen Beitrag zur Landschaftspflege leistete. Die Umstellung des Betriebes brauchte eine Weile, denn natürlich fehlte der Futterbau in der Fruchtfolge. Hier ergaben sich aber neue Möglichkeiten durch die aufkeimende Bioökonomie. Immer mehr fossile Rohstoffe wurden durch regenerative ersetzt. So produziert Amalies Hof nun auch pflanzliche Rohstoffe für die Textil- und Pharmaproduktion. Am Ende einer Nutzungskaskade gelangen viele der Rohstoffe auf ihren Hof zurück, werden in der Biogasanlage vergoren und was dann noch übrig bleibt, kommt als organischer Dünger zurück auf die Felder.  Auch darüber hinaus wurden viele Stoffkreisläufe endlich geschlossen. So wird Phosphordünger für die Pflanzen, der über Jahrzehnte in fossilen Lagerstätten abgebaut wurde, mittlerweile längst aus Abwässern zurückgewonnen. Ein anderer Hof in der Nähe füttert mit Reststoffen eine kleine, voll automatisierte Insektenfarm und mit den Insekten werden wiederum Hühner gefüttert. Eine Freundin, die ebenfalls einen Hof führt, nutzt die Abwärme ihrer Biogasanlage für den Betrieb eines Algenreaktors. Das will Amelie sich demnächst einmal näher ansehen, vielleicht wäre das auch eine Option für ihren Hof.

Angefangen haben viele dieser Umstellungen mit geförderten Pilotprojekten, doch heute werden regionale und nachhaltig produzierte Produkte wertgeschätzt. Außerdem besteht ein großer gesellschaftlicher Konsens, dass Landwirt:innen für ihre Gemeinwohlbeiträge auch öffentlich entlohnt werden sollen. Denn die Menschen sind begeistert davon, wie struktureller und technologischer Fortschritt zu einer vielfältigeren, nachhaltigeren Landwirtschaft geführt hat. Amelie macht diese zurückgewonnene gesellschaftliche Wertschätzung Mut für die Zukunft. Vielleicht werden sogar ihre Kinder einmal in der Landwirtschaft arbeiten und ihren Hof übernehmen. Und wer weiß, was sich in Zukunft noch alles verändern wird.

Dieser Text ist im Rahmen einer Kooperation der Progressiven Agrarwende mit der Katholischen Landjugendbewegung entstanden und wird auch im nächsten Vereinsmagazin der KLJB erscheinen.

Robert Hoffie
Martin Reich

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