Pflanzenzüchtung vor dem Aktenberg

🇬🇧 An English language version of this text was published on the EcoProg blog.

Neuregulierung von NGTs in der EU: Bitte lesen Sie das Kleingedruckte!

Am 7. Februar 2024 stimmte eine Mehrheit im Europaparlament für die Neuregulierung von Pflanzen, die mittels Neuer Genomischer Techniken (NGT) hergestellt werden. Was für viele Umweltorganisationen einen Rückschlag für die Wahlfreiheit bedeutete, war für andere eine lang erwartete Reform auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse. Doch ist der Gesetzesvorschlag der Europäischen Kommission nicht ohne Änderungswünsche angenommen worden. Im Gegenteil: Durch zahlreiche Modifikationen könnte sich der einst progressive Text in ein Gentechnikrecht 2.0 verwandeln.

Die Amendments: Ein neues Bürokratiemonster?

In der ursprünglichen Version des Kommissionsvorschlags wurden die umfangreichen Erleichterungen in puncto Zulassung explizit nur für Pflanzen der Kategorie NGT-1 angeführt. Unter diese Kategorie fallen alle Züchtungen, die mit konventionellen Techniken ebenso erreicht werden könnten. Als “äquivalent zu konventionell” bezeichnet der Gesetzestext beispielsweise die Veränderung von bis zu 20 DNA-”Buchstaben” (Nukleotiden), die Entfernung von Nukleotiden oder das Einfügen von DNA-Elementen, die im Genpool der betreffenden Art bereits vorkommen. Alle anderen Pflanzen fallen automatisch in die Kategorie NGT-2 und werden weiterhin als GVO behandelt und reguliert. Außerdem: Aufgrund der Ablehnung neuer Züchtungstechnologien innerhalb der Branche wurde der Einsatz von NGT-1-Pflanzen für den Ökolandbau verboten.

Doch war dies für einige Parlamentarier noch nicht genug: Insgesamt wurden über 300 Änderungsvorschläge (“Amendments”) eingereicht 1, von denen über 90 angenommen wurden und die vor allem die Kennzeichnung bis zum Endprodukt und die Nachverfolgbarkeit betreffen. Die Kommission soll außerdem bei einer möglichen Markteinführung von NGT-Pflanzen nach sieben Jahren berichten, wie sich die “Wahrnehmung von Verbrauchenden und Produzierenden entwickelt” 2. Einig war man sich bei der Nicht-Patentierbarkeit, die für alle NGT-Pflanzen gelten soll.

Zum Thema Patente auf Saatgut veranstalten wir zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Synthetische Biologie (GASB) am 10. April 2024 ein Online-Event innerhalb der Seminarreihe “GASB meets PAW: Gentechnik-Knackpunkte”. Alle Interessierten sind herzlich willkommen, zur Anmeldung geht es hier!

Es wirkt schon ein wenig paradox: Sollten NGT-Pflanzen nicht eigentlich mit dem progressiven Gesetzesvorschlag entbürokratisiert werden? Ihren Status als “gefährliche Gentech-Crops” verlassen und zu den ihnen gleichen “konventionellen Züchtungen” gereiht werden? Nun lauert womöglich ein noch größeres Aktenmonster im Schatten der Plenarwahl, bemerkt nur von denen, die es mit blockierenden Amendments selbst erschaffen haben. Am Ende könnte eine sich selbst erfüllende Prophezeiung dazu führen, dass das Gesetz das Gegenteil von dem bewirkt, wofür es bestimmt war: Nur die größten und kapitalstärksten Unternehmen würden profitieren.

Nachweispflicht schlägt KMU

Gerade kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) warten darauf, auch die neuen Züchtungsmethoden in der Praxis anwenden zu können. Insofern sei die Annahme im EU-Parlament ein “wichtiger Schritt in die richtige Richtung”, meint Jon Falk, Geschäftsführer der Saaten-Union Biotec GmbH. Allerdings könnten die im Parlament angenommenen Änderungen in letzter Instanz umfangreiche Auflagen für die neu bewerteten Pflanzen bedeuten, die dem strengen Gentechnikrecht nicht unähnlich wären.

“Der damit einhergehende Aufwand und die Stigmatisierung solcher Pflanzen (…) unterläuft die Intention des Verordnungsentwurfs der EU-Kommission.” 

Dr. Jon Falk, Saaten-Union Biotec GmbH, Statement im Namen von acht KMU

Darunter fielen zum Beispiel die “durchgehende Kennzeichnung für Pflanzen und Produkte, die solche Pflanzen enthalten, Monitoringauflagen und die Einführung von Rückverfolgbarkeitssystemen”. Damit würden die Pflanzen eher wie klassische gentechnisch veränderte Organismen als wie konventionell gezüchtete Pflanzen behandelt, so Falk. Der damit einhergehende Aufwand und die Stigmatisierung solcher Pflanzen und Produkte unterlaufe damit die Intention des Verordnungsentwurfs der EU-Kommission, die Anwendung neuer Züchtungsmethoden in der Pflanzenzüchtung zu ermöglichen. Dass das Parlament das Thema “Schutz geistigen Eigentums” adressiert und den Sortenschutz als primäres Schutzrecht in der Pflanzenzucht durch Vorschläge zur Anpassung der Patentierbarkeit gestärkt hat, sieht Falk als eine hilfreiche Ergänzung des Kommissionsvorschlags.

Auch Anja Matzk (KWS Saat SE & Co. KGaA) bewertet das jüngste Votum im EU-Parlament als “positives Signal und (…) Meilenstein auf dem Weg, den Einsatz von NGT in der europäischen Landwirtschaft zu ermöglichen”. Dennoch sieht auch die Pflanzenzüchterin und Head of Regulatory Affairs im wachsenden Züchtungsunternehmen KWS Nachbesserungsbedarf: “Einige der vorgeschlagenen Anforderungen entsprechen nicht der Grundintention, mit der die EU-Kommission das Gesetzesvorhaben auf den Weg gebracht hat. Insbesondere die Kennzeichnung der Endprodukte – über die Listung von Sorten und Saatgut hinaus – stellen wir in Frage”.

“Damit würde das neue Gesetz zwar die Nutzung bestimmter NGTs erlauben, diese aber dennoch keine Anwendung in der Praxis finden.” 

Dr. Anja Matzk, KWS Saat SE & Co. KGaA

Die Kennzeichnung von Produkten, die nicht von Produkten konventionell gezüchteter Pflanzen zu unterscheiden sind, sei nicht nachzuvollziehen und suggeriere einen “nicht begründeten Warnhinweis für Verbraucher, was mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer Ablehnung der Produkte führen würde”, schrieb Matzk in einem Statement an das Öko-Progressive Netzwerk.  Ihre Schlussfolgerung: “Damit würde das neue Gesetz zwar die Nutzung bestimmter NGTs erlauben, diese aber dennoch keine Anwendung in der Praxis finden.”

Es sei denn, Verbraucher*innen würden NGT-Produkten offen gegenüberstehen und ihre Vorzüge bzw. ihre Gleichwertigkeit gegenüber bisher verfügbaren Produkten anerkennen – angenommene Angst von Verbraucher*innen muss hier aus öko-progressiver Sicht kein Argument sein. Im Gegenteil, Wahlfreiheit und Koexistenz sind wichtige Werte in der Agrarproduktion, die durch einige der Amendments aufgegriffen werden. Warum diese Buzzwords aber in der NGT-Debatte überschätzt werden, kann in Robert Hoffies kürzlich publizierten Text nachgelesen werden.

Im anstehenden Trilogverfahren zwischen Kommission, Parlament und Rat hofft die deutsche Pflanzenzucht auf eine zügige Einigung, die zu einer evidenzbasierten Gesetzgebung für neue genomische Techniken in der EU führt. Aber was passiert, wenn die unsäglichen Amendments ungeprüft durchgewunken werden?

Besser kein Gesetz als ein schlechtes Gesetz?

Klar erscheint, dass eine Regulierung von NGT-Pflanzen vor dem Hintergrund der angenommenen Änderungen nichts an der Nutzbarkeit der Technologie ändern würde – im Gegenteil: Durch umfangreiche, kostspielige und jahrelange Prüfungsverfahren würde sich der Nutzen der “neuen Gentechnik” nicht bemerkbar machen. Aus Sicht der Befürworter*innen wäre ein schlechtes neues Gesetz kein Teilsieg, sondern worst case. Auf absehbare Zeit lägen Innovationen aus neuen Züchtungsmethoden wie CRISPR/Cas in der Pflanzenzüchtung einmal mehr auf Eis und die viel beschworenen Praxisbeispiele würden ausbleiben.

Hinzu kommt erschwerend, dass Verklausulierungen den Prozess der Gesetzesbildung aufhalten. Der Trilog zwischen Parlament, Kommission und Rat kann erst beginnen, wenn letzterer eine interne Einigung erreicht. Die Minister schwitzen also derzeit fleißig über einem schier endlosen Regelwerk für eine innovationsfreundliche Pflanzenzucht. Wann sie zu einem Ergebnis kommen, ist nicht bekannt.

Hausaufgaben für den Ministerrat

Im Trilog liegt die Chance auf einen Kompromiss, der die Patentfrage zwar regelt, aber auf Kennzeichnungspflicht für NGT-Pflanzen der Kategorie 1 verzichtet. Damit könnte eine Mehrheit in beiden Kammern erzielt werden. Sollte der Rat der Europäischen Union vor der letzten Plenarsitzung (in der Woche des 22. April) eine Einigung finden, könnte noch vor den Europawahlen ein Gesetz verabschiedet werden. Falls nicht, verschiebt sich das Trilogverfahren auf die Zeit nach den Wahlen.

Wenn der Ministerrat allerdings keine interne Einigung zustande bringen kann, wird sich die erwartete Neuregulierung noch um einige Jahre verzögern: Die (aktuelle) belgische Ratspräsidentschaft wird das Aktenmonster an die nächsten in der Reihe abgeben – und das sind Ungarn (zweite Hälfte 2024) und Polen (erste Hälfte 2025). Beide Nationen lehnen den Gesetzesvorschlag der EU-Kommission bisher kategorisch ab. Erst mit Dänemark (zweite Hälfte 2025) wird erstmals wieder ein Land das Zepter der Präsidentschaft halten, welches an einer evidenzbasierten Regulierung von NGT-Pflanzen interessiert ist.

Die Züchtung neuer Pflanzensorten in der EU, die den aktuellen Herausforderungen in der Landwirtschaft wie Klimakrise, Krankheits- und Schädlingsdruck gerecht werden, liegt also in den Händen der Ratsmitglieder. Es bleibt abzuwarten, welche Version des Gesetzesvorschlags sie voranbringen wollen.

Ob Bürokratiemonster oder nicht: Viel Zeit bleibt nicht, um die Pflanzenzucht an das Tempo der globalen Herausforderungen anzupassen – denn Artenschwund und globale Erwärmung warten nicht auf Papierkram.

David Spencer
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Jana Gäbert

Einzelnachweise

  1. https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/A-9-2024-0014_DE.html
  2. https://www.europarl.europa.eu/news/en/press-room/20240202IPR17320/new-genomic-techniques-meps-back-rules-to-support-green-transition-of-farmers

Ein Kommentar

  1. Liebe Autor*innen und liebe Mitglieder und Aktive bei der „Progressiven Agrarwende“,

    dass ihr euch Gedanken macht für eine umweltschonende nachhaltige Landwirtschaft, ist gut und begrüßenswert (… ich probier’s mal mit dem „du“ und hoffe, dass das in Ordnung ist, ansonsten bitte ich um Entschuldigung). Dies ist eine Basis, die wir gemeinsam haben. 🙂
    Ihr habt hierzu viele Ansätze thematisiert, und ich stimme mit mehreren davon überein (z. B. Agroforstsysteme, Biodiversität in der Landwirtschaft fördern).

    Was ich hierbei jedoch für einen falschen Weg halte, ist, Lebewesen gentechnisch zu verändern.

    Der EU-Entwurf vom 5. Juli 2023 zur Deregulierung der „Neuen Gentechnik“ (NGT) hätte im EU-Parlament abgelehnt werden müssen, denn er wäre hochproblematisch. Er und darauf basierende Varianten müssen zurückgewiesen und der Prozess gestoppt werden.

    Der „gravierendste Webfehler“ im vorliegenden EU-Entwurf ist m. E., dass er sich auf alle NGT-Pflanzen beziehen würde, und nicht nur auf landwirtschaftliche Kulturpflanzen.
    Auch NGT-Wildpflanzen und NGT-Bäume, die ja sehr langlebig wären und Schlüsselpositionen in vielen Ökosystemen hätten, und z. B. NGT-Algen würden mit-dereguliert und vollständig aus dem bisherigen EU-Gentechnikrecht herausgenommen, ganz ohne Risikoprüfungen, ohne Monitoring und ohne Maßnahmen zur Rückverfolgbarkeit und Rückholbarkeit.
    Gentechniker*innen könnten NGT-Bäume und NGT-Wildpflanzen hervorbringen und freisetzen, und diese könnten Eingang in Naturräume finden, sich unkontrolliert verbreiten und Ökosysteme irreversibel verändern, ohne dass es ggf. bekannt oder in irgendeiner Weise reguliert (!) und rückgängig zu machen wäre.
    Das wäre aus Sicht des Naturschutzes inakzeptabel und würde eindeutig verstoßen gegen zentrale Grundsätze wie das Vorsorgeprinzip, die „Bewahrung der Schöpfung“ und der „Respekt vor dem Leben“, die wir Menschen immer respektieren sollten.

    Sollte der EU-Entwurf weiter vorangetrieben oder gar beschlossen werden, hätten Umweltbehörden wie das BfN und Naturschutzorganisationen bzw. damit verbundene klageberechtigte Gremien m. E. nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, dagegen zu klagen, damit unsere wunderbare Natur auch weiterhin vor GVO geschützt bleibt (siehe hierzu auch den aktuellen „Policy Brief #02/2024“ des BfN: https://www.bfn.de/sites/default/files/2024-02/24_02_07_BfN_policy_brief_NGT-7.pdf).
    Den wohl meisten EU-Bürger*innen und mir ist es ein großes Herzensanliegen und wir wünschen uns, dass unsere Natur heute und auch in Zukunft vor GVO geschützt bleibt.
    Auch eure Dachorganisation „WePlanet“ ist dafür, die Natur zu schützen, und zum Naturschutz gehört auch der Schutz vor GVO-Einträgen in Naturräume. Somit müsstet ihr euch alle m. E. eigentlich gegen einen solchen EU-Entwurf positionieren.

    Wenn unbedingt die „Neue Gentechnik“ auf EU-Ebene dereguliert werden soll, dann dürfte sich dies nur beziehen auf bestimmte landwirtschaftliche Kulturpflanzen – idealerweise nur auf einjährige Arten –, die sich nicht mit Wildformen kreuzen könnten, und sich in unserer Natur nicht ausbreiten könnten. Eine mögliche Deregulierung der „Neuen Gentechnik“ dürfte nur moderat und im Rahmen des bestehenden EU-Gentechnikrechts erfolgen.

    Viele Wissenschaftler*innen, die nicht nur mögliche Potentiale der „Neuen Gentechnik“ berücksichtigen, sondern „über den Tellerrand hinausschauen“ und auch Ökologie und Soziales miteinbeziehen, warnen vor den mit der „Neuen Gentechnik“ verbundenen Problemen (On-/ Off-Target-Effekte, Patentierung, Schutz der gentechnikfreien und Ökologischen Landwirtschaft, …) und sprechen sich gegen den EU-Entwurf zur Deregulierung bzw. allgemein gegen eine Deregulierung von GVO aus der „Neuen Gentechnik“ aus, siehe z. B.:
    https://www.srf.ch/news/schweiz/kritik-an-genom-editierung-agraroekologin-die-dna-ist-kein-computercode,
    https://www.mdpi.com/2223-7747/12/9/1764,
    https://ensser.org/publications/2023/ensser-stellungnahme-der-vorschlag-der-eu-kommission-zu-neuen-gv-pflanzen-ist-unwissenschaftlich-und-verschleiert-deren-risiken/,
    https://newgmo.org/2023/11/19/open-letter-serious-concerns-about-the-eu-commission-proposal-on-new-genomic-techniques/,
    https://www.testbiotech.org/aktuelles/neue-gentechnik-wissenschaftlerinnen-gegen-vorschlag-der-eu-kommission.

    Alle NGT-Pflanzen würden durch das Patentrecht geregelt (https://www.euractiv.de/section/landwirtschaft-und-ernahrung/news/neue-eu-regeln-gentechnisch-veraenderte-pflanzen-weiterhin-patentierbar/), wodurch die Kontrolle über den Saatgutmarkt und die Pflanzenzüchtung mittelfristig immer mehr in die Hände von Konzernen und anderen Patentinhaber*innen gelangen würde (vgl. Situation in den U.S.A.!).
    Das wäre sehr problematisch für alle Bäuer*innen und uns Verbraucher*innen.
    Es ist m. E. sehr befremdlich, wenn Biotech-Konzerne und Wissenschaftler*innen Ansprüche erheben, Patente auf Lebewesen und deren Nachkommen besitzen zu wollen.

    Der EU-Entwurf würde der EU-Kommission für die Zukunft weitreichende Befugnisse einräumen, die Gentechnikregulierung ggf. eigenständig anzupassen und einer parlamentarisch-demokratischen Einflussnahme weitgehend zu entziehen. Das EU-Parlament hätte kaum mehr Mitsprachemöglichkeiten.

    Das Narrativ, die „Neue Gentechnik“ würde nur punktuell die DNA verändern, und dies wären nur „kleine präzise Eingriffe an genau definierten DNA-Stellen, die von natürlichen Mutationen nicht unterscheidbar und ganz natürlich oder naturidentisch wären“, ist sehr zu hinterfragen: Das CRISPR/Cas-System stammt aus Bakterien und wird in Zellen von höheren Pflanzen eingesetzt. Es schneidet die DNA an allen Stellen, die mit der jeweiligen Guide-RNA-Vorlage zusammenpassen, und das können in der Realität mehrere DNA-Stellen sein. Dies sind die häufig zitierten „Off-Target-Effekte“, und hierzu können weitere unerwartete Effekte kommen (siehe hierzu z. B. die wissenschaftliche Veröffentlichung auf https://www.biorxiv.org/content/10.1101/2023.05.22.541757v1). Viele Gene kommen als Mehrfachkopien vor, und das CRISPR/Cas-System schneidet bei eben all diesen Kopien – auch das würde „natürlicherweise“, z. B. durch UV-Strahlen, kaum passieren.
    Im Fall von Multiplexing würden mehrere Guide-RNAs für mehrere DNA-Stellen eingesetzt, wodurch sich die Problematik potenzieren würde.
    Verschiedene NGT-Pflanzen könnten mittel- bis langfristig auch miteinander gekreuzt werden, und so könnten sich im Laufe der Zeit immer mehr DNA-Veränderungen etablieren, so dass man schon bald nicht mehr von „nur einer kleinen punktuellen Mutation“ sprechen könnte.
    Die DNA-Reparaturmechanismen an den DNA-Schnittstellen lassen sich nicht beeinflussen. In vielen Fällen findet keine Punktmutation, sondern eine Deletion einer DNA-Base statt, wodurch das Leseraster des Gens verschoben und das komplette Gen „ausgeknockt“ wird. Aber die meisten Gene codieren nicht nur für eine, sondern für mehrere Eigenschaften und stehen in komplexen Wechselwirkungen mit anderen Genen. Es ist wahrscheinlich, dass NGT-Pflanzen nicht nur eine bestimmte erwünschte neue Eigenschaft, sondern zusätzlich andere, ggf. unerwartete Eigenschaften besitzen.

    Auch das Narrativ, die „Neue Gentechnik“ wäre „deutlich schneller und billiger“ als die klassische Züchtung, ist sehr zu hinterfragen, wenn man bedenkt, dass man eine teure komplizierte Laborausstattung und hochqualifiziertes Personal braucht, man vorher die Genome sequenzieren und Gene ihren Funktionen sicher zuordnen muss und es viele Fehlversuche gibt. Zudem muss man am Ende das CRISPR/Cas-System (meist ja mit „alter Gentechnik“, also über Agrobacterium oder „Gen-Kanone“ ins Genom eingebracht …) wieder auskreuzen, und man sollte das Genom ja auch auf Off-Target-Effekte screenen und umfangreiche Versuche mit NGT-Pflanzen durchführen.

    Mehrere Umwelt- und Lebensmittelbehörden in mehreren Ländern der Europäischen Union kommen zum Ergebnis, dass der EU-Entwurf bzw. darauf basierende Varianten unvereinbar mit dem Vorsorgeprinzip und wissenschaftlich nicht begründbar sind und lehnen ihn bzw. eine Deregulierung der „Neuen Gentechnik“ unter solchen Bedingungen ab, z. B.:
    – die GfÖ (The Ecological Society of Germany, Austria and Switzerland, auf Englisch, Direkt-Link zum pdf: https://gfoe.org/sites/default/files/ngt_gfoe_final.pdf) und
    – die französische Lebensmittelbehörde ANSES (englische Übersetzung: Direkt-Link zum pdf: https://www.anses.fr/en/system/files/BIOT2023AUTO0189EN.pdf) und
    – das Bundesamt für Naturschutz (BfN, Direkt-Link zum pdf: https://www.bfn.de/sites/default/files/2024-02/24_02_07_BfN_policy_brief_NGT-7.pdf).

    Ein weiteres kritisches Statement der französischen Behörde ANSES von Ende Januar 2024 (siehe https://www.anses.fr/fr/content/actu-nouvelles-techniques-genomiques) wurde wohl bewusst erst dann freigegeben, nachdem das EU-Parlament zum EU-Entwurf schon abgestimmt hatte (siehe https://www.euractiv.com/section/agriculture-food/news/french-health-agency-report-challenges-proposed-eu-rules-on-gene-edited-plants/). Ein solches Vorgehen ist inakzeptabel.

    Über 420.000 EU-Bürger*innen haben mit ihrer Unterschrift kundgetan, dass sie gegen eine Deregulierung der „Neuen Gentechnik“ sind (siehe z. B. https://www.boelw.de/themen/gentechnik/landwirtschaft/artikel/gentechnik-ueber-420000-menschen-fordern-wahlfreiheit-und-risikopruefung).
    Die große Mehrheit von uns Bürger*innen ist skeptisch bezüglich gentechnisch veränderter Organismen (GVO) und findet diese befremdlich, und möchte nicht, dass die Kennzeichnung von GVO und die Wahlfreiheit abgeschafft werden würden, und wünscht sich Risikoprüfungen und eine Kennzeichnung aller GVO und der aus ihnen hergestellten Produkte (siehe z. B. https://www.ohnegentechnik.org/artikel/umfrage-fast-alle-wollen-kennzeichnung-und-risikopruefung-fuer-neue-gentechnik).
    Ich bitte Euch und alle Politiker*innen, die Wünsche der breiten Mehrheit von uns EU-Bürger*innen zu respektieren. Die Demokratie ist die beste Regierungsform, und wir leben ja in einer Demokratie und nicht in einer Technokratie.

    Auch der „Ausschuss der Regionen“ hatte sich sehr kritisch zum EU-Entwurf geäußert (siehe https://cor.europa.eu/en/news/Pages/21-nat-meeting.aspx).

    Liebe Autor*innen und liebe Mitglieder und Aktive bei der „Progressiven Agrarwende“,
    wir müssen nicht – und wir sollten meiner Meinung nach auch nicht – Lebewesen gentechnisch manipulieren, um aktuellen Herausforderungen (Klimawandel, Welternährung, …) zu begegnen.
    Das wäre der falsche Weg und wäre verbunden mit zahlreichen ungelösten Problemen (On-/ Off-Target-Effekte, Patentierung von Saatgut, zunehmende Kontrolle von Patentinhaber*innen über den Saatgutmarkt, kein Schutz der gentechnikfreien und Ökologischen Landwirtschaft, …).

    Bitte lasst uns sinnvolle umwelt- und sozialverträgliche Maßnahmen nutzen, die im Einklang mit dem Leben und der Natur stehen, vor allem:
    – Ökologischer Landbau
    – Ökologische Pflanzenzüchtung
    – Nutzung von pflanzengenetischen Ressourcen in Genbanken für konventionelle Zuchtprogramme mit modernen Sorten: Let’s liberate diversity! 🙂
    – Agrarökologie
    – Agroforstsysteme
    – Vermeidung von Lebensmittelverlusten und von Lebensmittelverschwendung
    – Reduzierung des Konsums tierischer Produkte (siehe hierzu auch https://www.wissenschaft.de/erde-umwelt/koennte-deutschland-sich-selbst-ernaehren/).

    Bitte lasst uns alle daran mitarbeiten!
    Bitte lasst uns unsere Energie und unser Wissen und Können in diesen Bereichen einsetzen!
    Diese Maßnahmen sind in sozialer und ökologischer Hinsicht völlig unproblematisch und bringen sehr viel. 🙂
    So sichern wir uns und der Welt eine gute Zukunft. 🙂

    Liebe Grüße

    Matthias Henneberger
    (Dipl.-Ing. agr., ehrenamtlich aktiv beim BUND, im Naturschutz und im sozialen Bereich)

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