Ananas – viel mehr als nur Piña Colada

Erfahrungen und Eindrücke von einem interdisziplinären Workshop zur nachhaltigen Nutzung von Frucht-Reststoffen in Brasilien.

Ananas ist den meisten Menschen in Deutschland und Europa bekannt als eine tropische Frucht, die, obwohl sie in unseren Breiten kaum wächst, fast so selbstverständlich im Supermarkt zu finden ist wie ein Apfel. Das Bromeliengewächs Ananas comosus, wie sie botanisch heißt, kommt ursprünglich aus einem Gebiet im Grenzbereich von Paraguay und Brasilien und wird in ganz Südamerika seit Jahrtausenden angebaut. Von dort kam sie  ins heutige Mexiko und wurde bereits von Maya und Azteken kultiviert. Im Rahmen von Kolonisierungsaktivitäten wurde sie erstmals nach Europa importiert.1 

Ananas ist als Frucht oder Saft nicht mehr aus unseren Supermarktregalen wegzudenken, aber man kann auch die Nebenprodukte weiterverarbeiten – und das bringt uns dazu, euch für unser Engagement in der Reststoffverwertung der Ananas zu begeistern. 

Abbildung 1: Weltweite Ananas-Produktion in 2020 ©Wikipedia

Das BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung) hat 2019 eine Ausschreibung veröffentlicht, die zum Ziel hatte, die Forschungspartnerschaft zwischen Brasilien und Deutschland zu stärken und mit Hilfe eines Workshop-Formats Kollaborationen aufzubauen. Débora und Natalie haben durch ihre Arbeit an der landwirtschaftlichen Fakultät der Uni Bonn davon erfahren. Eines der Kernthemen war dort die zirkuläre Nutzung von Biomasse und landwirtschaftlichen Produkten für eine nachhaltige Bioökonomie. In Brasilien werden weltweit am meisten Ananas-Früchte produziert.  Auch für den europäischen Saftkonsum ist es einer der wichtigsten Exporteure und dabei bleiben bei der Produktion viele Reststoffe weitgehend ungenutzt liegen.2 Hier kommt Boje mit ins Spiel, der zusammen mit Natalie und anderen zuvor beim deutschen Nachhaltigkeitspreis mit der „Waste2Resource Unit“3 unter den Finalist*innen war. Alle drei wissen um das Potential, das in Nebenprodukten von Früchten steckt. Bioaktive Substanzen und Rohstoffe für Biomaterialen können Produkte aus fossilen Rohstoffen ersetzen4, die Reststoffe müssen nicht mehr auf Deponien gelagert werden und verursachen keine ökologischen Probleme. Zusätzlich kann durch mehrfache Verwertung die technologische Entwicklung in ländlichen Regionen gestärkt werden5 – wenn die Menschen vor Ort von Anfang an miteinbezogen werden. Die Idee war geboren und wir konnten uns glücklich schätzen, mit unserem Projekt „Innovationspotential zur valorisierten Kaskadennutzung von Nebenprodukten der Saftproduktion (InVaKaS)“ gefördert worden zu sein.

Abbildung 2: globale Fruchtproduktion in Tonnen in 2021 (Quelle: Our World in Data)

Aber was bedeutet das nun? Mit Hilfe unseres Workshops in Bahia, Brasilien, wollten wir uns der Nebenprodukte der Saftproduktion wie Schale, Pulpe, Kerne und Pflanzenteile annehmen und deren Nutzung voranbringen. Denn diese fallen in großen Mengen an und werden bisher kaum weiterverarbeitet.  Für unser Projekt war es uns deshalb ein Anliegen, alle Bestandteile im Sinne von Nachhaltigkeit bestmöglich zu verwenden und möglichst alle beteiligten Gruppen von Anbau, über Prozessierung bis hin zum Verkauf miteinzubeziehen. Wir haben uns also zunächst auf die Suche nach Wissenschaftler*innen begeben und spannende Personen von EMBRAPA, Universidade Federal do Rio de Janeiro, Universidade de Franca, Universidade de Bauru, Instituto Federal do Rio de Janeiro und Fraunhofer IVV São Paulo für die Teilnahme gewinnen können. 

Bahia – eine zu unrecht wenig beachtete Region im Nordosten von Brasilien

Wir haben uns für unseren Workshop Salvador, Hauptstadt des Bundesstaats Bahia, ausgesucht. Bahia ist der drittgrößte Obstproduzent Brasiliens. Und auch vieles weitere wird hier angebaut. Kokosnuss, Kakao, Papaya und Passionsfrucht sind einige der Spezialitäten, aber auch andere Früchte wie Ananas oder weniger bekannte wie Graviola und Umbu umfassen das Repertoire. Bahia ist nicht nur die Heimat vieler Obst-Verarbeiter und ein wichtiger Standort der Getränkeindustrie, sondern beherbergt auch Forschungsinstitute, die neue Anbaumethoden, Sorten und andere Innovationen entwickeln.

Dort ging es am ersten Tag des Workshops mit einer ganzen Reihe von interessanten Beiträgen los. In einem Hybrid-Event (also mit Teilnehmenden vor Ort und online) haben wir gelernt, dass eigentlich schon viel passiert und dass es Wissenschaftler*innen und Firmen gibt, die schon viele der Reststoffe der Obstproduktion verwerten. Die geteilten Anwendungen waren beispielsweise aromahaltiges Öl und Materialien zur Verpackung aus Orangenschalen, Füllstoffe und Materialien aus Kokosnussabfällen, und bioaktive Stoffe aus verschiedenen Früchten. Zellstoff aus Ananas-Resten war ebenso vertreten.

Wir haben außerdem gelernt, dass es Interesse gibt, die Reststoffverwertung weiter auszuarbeiten und dass es an anderen Stellen Herausforderungen gibt, um dies umzusetzen. So erfordert zum Beispiel die Nutzung von bioaktiven Stoffen in der Nahrungsmittel-, Kosmetik- und Pharmaindustrie bestimmte Qualitätsstandards, die eine Investition in Hygiene und Reinheit bei der Aufarbeitung der Reststoffe erforderlich machen. Aus diesen Gründen ist derzeit manchmal die Nutzung des Hauptprodukts, wie z. B. der frischen Mango auch für solche Anwendungen attraktiver, statt einer Nutzung der Mangoschale, die dafür prinzipiell genauso gut geeignet wäre. 

Da man vor Ort und im direkten Gespräch mit Praktiker*innen aber darüber noch mehr lernen kann, haben wir einige Exkursionen unternommen. 

Abbildung 3: InVaKas Gruppenfoto im Senac-Restaurant in Salvador, März 2023

Unterwegs in Bahia

Brasfrut, das Ziel unseres  ersten Besuches, ist ein industrieller Verarbeiter von Früchten, der hauptsächlich Fruchtfleisch und Konzentrat für den Konsum von Säften herstellt. Die Branche ist innovationsfreudig und hat das Forschungs- und Entwicklungsinstitut Senai CIMATEC beauftragt, das Potenzial neuer Produkte unter Verwendung von Früchten minderer Qualität und Nebenprodukten im Allgemeinen zu untersuchen. Dort (am Senai CIMATEC) waren wir auch und haben uns unter anderem die Biotech- und Lebensmittellabore angeschaut, die für die Testung von Innovationen genutzt werden können. 

Wir sehen also auch hier, dass schon etwas getan wird. Reststoffe werden z. B. als Tierfutter weiterverkauft, allerdings ist noch nicht für alle anfallenden Fruchtsorten oder Reststoffe eine Lösung vorhanden. Nicht verwendbares, d. h. überreifes oder von Schädlingen oder Pflanzenkrankheiten ((Schimmel-)Pilze, Bakterien oder Viren)6

befallenes Obst, wird meist nicht verwendet, sondern entsorgt. Neben den technischen Herausforderungen sind vor allem zwei Dinge relevant, um die Nutzung weiter zu verbessern: Mehrgewinn für das Unternehmen und eine Vernetzung mit verschiedenen Partnern durch eine*n Vermittler*in. 

Ähnliches haben wir auch im Senac-Restaurant in Salvador erfahren, das sich im letzten Stockwerk der Handelskammer befindet. Es war das erste Restaurant in Südamerika, welches das Siegel „klimaneutral“ erhalten hat. Die Innovationsmanagerin Monique Badaró setzt sich für die Verringerung der (organischen und anorganischen) Abfälle im Restaurant ein, da diese die Hauptquelle des CO2-Fußabdrucks sind. Sie hat uns gegenüber verdeutlicht, dass ein Umdenken und daraus folgend eine Umgestaltung sowie Vernetzung der gesamten Wertschöpfskette nötig sei, um wirklich keine Rohstoffe mehr zu verschwenden und die Nahrungsmittel komplett zu nutzen. 

Am eindrücklichsten war allerdings der Besuch bei Coopaita. Dabei handelt es sich um einen Bauernverband, der sich auf die Produktion von Ananas, insbesondere der Sorte “Pearl Pineapple”, spezialisiert hat. Zusammen mit mehreren Partnern hat Coopaita zwei Marken entwickelt und will die Ananasproduktion seiner Mitglieder besser verkaufen. Die Vereinigung vermarktet nicht nur die Frucht selbst, sondern auch Trockenfrüchte. Letztere sind vorteilhaft aufgrund ihrer besseren Lagerfähigkeit, aber erfordert auch entsprechende Prozessierungstechnik wie Gefriertrocknung. Darin und in größere Lagerkapazitäten wurde und wird investiert, um diese Produktion auszuweiten und neue Märkte zu erschließen. Die Vereinigung zeigt also schon einen hohen Grad an Initiative, auch wenn die Umsetzung, Verwaltung und Vergrößerung der Vereinigung durch weitere Mitglieder eine große Herausforderung darstellt. Viele Landwirte sind skeptisch und selbst Mitglieder verkaufen lieber Teile ihrer Produktion direkt auf dem örtlichen Markt. Es bedarf also auch hier Vernetzungsarbeit, um die Landwirte mit ins Boot zu holen. Auch wenn dieser Punkt evtl. eine der größten Herausforderungen darstellt, so ist es umso wichtiger, die Fruchtproduzent*innen gerade in ländlichen Gebieten direkt zu Beginn mit ins Boot zu holen, um deren Bedürfnisse miteinzubeziehen. Letztlich liefern ja auch sie die Rohstoffe.

Aber, wie Dr. Lourdes Cabral, eine erfahrene und erfolgreiche Wissenschaftlerin von EMBRAPA, herausgestellt hat: “Die nötigen Technologien für eine einfache Nutzung sind schon da, wir müssen anfangen, sie in das Netzwerk zu bringen.” – Die Weiterentwicklung und Verbesserung der Nutzung kann viel besser erfolgen, wenn die Menschen und auch unmittelbar die Partner*innen in der Wertschöpfungskette diese Art des Umgangs mit Rohstoffen im Kopf haben und dann gemeinsam daran arbeiten. 

Abbildung 4: Ananas-Feld von Coopaita, Besuch März 2023, eigene Fotographie ©Natalie Laibach

Und was haben wir daraus gemacht?

Da es das gemeinsame Ziel war, aus den gewonnenen Eindrücken und Gesprächen während der Exkursion eine Projektidee zu formulieren, haben wir während der Workshop-Woche mit Methoden zur Ideengenerierung und Kanalisierung intensiv die Köpfe zusammengesteckt. Nach der Sammlung verschiedener Ideen werden diese sortiert, bewertet und daraus konkrete Arbeitspakete erdacht.

Vor allem der Besuch beim Bauernverband Coopaita hatte bei allen einen bleibenden Eindruck hinterlassen und war einer der ausschlaggebenden Punkte, uns für Ananas zu entscheiden. Außerdem gehört Brasilien zu einem der Hauptproduzenten von Ananas weltweit (siehe Abbildung 1) und Ananas birgt noch viel Potential zur Nutzung, wie die Nutzung bioaktiver Enzyme, die Fasern zur Papierherstellung oder veganes Leder aus Pflanzenteilen. Dabei wurden Möglichkeiten zur Technologieentwicklung und auch mögliche Produkte wie bioaktive Stoffe aus Pulpe, Bau- und Verpackungsmaterial aus Rinde und Pflanzenteilen sowie fehlende Partner*innen im Konsortium und Fokusprodukte herausgearbeitet. Ein wesentlicher Aspekt war, dass wir gezielt Organisationen oder Vereinigungen wie Coopaita von Anfang an mit einbeziehen wollen.

Abbildung 5: InVaKas Wertschöpfungskette. Schematische Darstellung der potentiellen Nutzung von Nebenprodukten aus der Saftproduktion und ihrer zirkulären Aufarbeitung. Quelle: eigene Darstellung, ©Natalie Laibach

Wie geht es jetzt weiter?

Der Workshop hatte insgesamt eine tolle Resonanz und war eine eindrucksvolle Woche. Die Motivation aller Beteiligten am Projekt wurde geweckt, weswegen wir sogleich digitale Folgetreffen verabredet haben, von denen bereits eines stattgefunden hat. Außerdem arbeiten wir online auf einer gemeinsamen Cloud weiter am Projekt. Wir sind gespannt, was daraus wird und wer weiß, vielleicht begegnet euch ja in einigen Jahren ein Produkt aus Ananas-Reststoffen.

Débora Moretti
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Boje Müller
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Natalie Laibach
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Einzelnachweise

  1. Lobo, M. G., & Siddiq, M. (2017). Overview of pineapple production, postharvest physiology, processing and nutrition. Handbook of pineapple technology: production, postharvest science, processing and nutrition, 1-15.
  2. Kandemir, K., Piskin, E., Xiao, J., Tomas, M., & Capanoglu, E. (2022). Fruit juice industry wastes as a source of bioactives. Journal of Agricultural and Food Chemistry, 70(23), 6805-6832.
  3. Laibach, N., Müller, B., Pleissner, D., Raber, W., & Smetana, S. (2021). An integrated, modular biorefinery for the treatment of food waste in urban areas. Case Studies in Chemical and Environmental Engineering, 4, 100118.
  4. Müller, B., & Laibach, N. (2022). Chapter 5. Extraction of valuable components from waste biomass. In Waste to food: Returning nutrients to the food chain (p. 123003). Wageningen Academic Publishers.
  5. Carbonell, S. A., Cortez, L. A. B., Madi, L. F. C., Anefalos, L. C., Baldassin Junior, R., & Leal, R. L. (2021). Bioeconomy in Brazil: Opportunities and guidelines for research and public policy for regional development. Biofuels, Bioproducts and Biorefining, 15(6), 1675-1695.
  6. https://www.tis-gdv.de/tis/tagungen/svt/svt97/scharnow/scharnow-htm/ und https://verbraucherschutz.sachsen-anhalt.de/fileadmin/Bibliothek/Politik_und_Verwaltung/MS/LAV_Verbraucherschutz/lebensmittelsicherheit/puplikationen/verderb_lebensmittel.pdf

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