Es wird viel über die Nachhaltigkeit der Landwirtschaft geredet: in Gremien und Ausschüssen, an der Kasse im Supermarkt, auf Stammtischen und politischen Veranstaltungen, in den sozialen Medien und Blogs wie diesem hier. Das Ergebnis von alledem äußert sich in einer gesellschaftlichen Stimmung, die sich auf die Politik überträgt und schließlich in konkrete Rahmenbedingungen mündet, mit denen Landwirt*innen vor Ort auf ihren Höfen und Feldern arbeiten müssen. Doch vielleicht würde es der ganzen Agrardebatte gut tun, wieder öfter von der anderen Seite her zu beginnen und uns zunächst genau anzusehen, was auf diesen Höfen und Feldern passiert. Sehen, zuhören und verstehen, was die Zwänge, äußeren Umstände und Zielkonflikte sind. Und dadurch vielleicht auch konstruktiver und näher an der Sache diskutieren zu können. Städter Martin hat sich aus dieser Motivation heraus mit Jana Gäbert aka Landwirtin aus Leidenschaft verabredet, um auf ihrem Hof mehr über die Praxis zu lernen und darüber, wie der Anbau von Lebensmitteln und der Schutz von Biodiversität zusammen gehen können.
Stadt und Land
Berlin ist eine Insel mitten in Brandenburg. Fährt man aus der Stadt heraus, zerfasert diese nicht, wie ich es z. B. aus meiner Heimatstadt Frankfurt kenne, langsam in Vororte und schließlich in dörfliche Gegenden, bevor wiederum Vororte und die nächste Stadt beginnen. Stattdessen ist dank der Mauer, die hier für Jahrzehnte stand, direkt hinter der Stadtgrenze Schluss und man hat links und rechts Felder, Weiden und Wälder. Landwirtschaft und dicht besiedelte Großstadt dürften einander kaum woanders in Deutschland so nahe sein. Und doch liegen oft gefühlte Welten dazwischen, wenn man die Agrardebatten dieser Tage verfolgt: kaum jemand kennt noch persönlich in der Landwirtschaft tätige Menschen und diese wiederum schimpfen häufig über praxisferne Städter wie mich, die sich mit Halb- und Falschwissen bewaffnet selbstbewusst in jede Debatte über den landwirtschaftlichen Berufsalltag stürzen. Unser Glück bei Progressive Agrarwende: von Anfang an konnten wir Brücken bauen und einen konstruktiven Austausch pflegen, denn wir haben in unseren Reihen einige dieser exotischen Exemplare, die beruflich in der Landwirtschaft tätig sind. Im vergangenen Spätsommer habe ich das schamlos ausgenutzt und bin nach Trebbin, einer Gemeinde nahe Berlin, gefahren, um dort Jana und Thomas Gäbert von ihrer Arbeit abzuhalten und mehr über die ganz konkrete Arbeit auf einem landwirtschaftlichen Betrieb zu lernen.
Dieses Treffen war schon seit Langem geplant und es kam immer wieder etwas dazwischen (Projekte, Meetings, Familienfeiern, Webinare bei mir und so triviale Dinge wie unser aller Lebensmittel anbauen bei den Gäberts). Ich war richtig euphorisch, als es endlich dazu kam und ich mit unserem ollen Twingo mitten in einem ruhigen Dorf in Brandenburg bei der angegebenen Adresse anhielt. Das erste, was mir auffiel: alles voller fliegender Käfer. Habe es später nachgeguckt, Schwefelkäfer heißen die gelben Tierchen. Es waren so viele, dass später mehrere wieder im Auto mitgereist sind.
Die Gäberts – alles andere als konventionell
Jana begrüßt mich vor einem schönen, alten Haus. Dahinter befinden sich ein Innenhof, eine Scheune und dahinter wiederum ein großer, schöner Garten. Und Pferde. Und Thomas. Natürlich bei der Arbeit, obwohl es Samstag ist.
Nach einem kurzen historischen Abriss darüber, wie Jana und Thomas 2009 diesen damals verwahrlosten Hof samt Grundstück gekauft und wieder auf Vordermann gebracht haben, werde ich mit einer kühlen Flasche Mate versorgt (hey, ist doch gar nicht so anders als in Berlin) und bekomme eine Führung. Zunächst durch den Garten und das Gelände, das direkt an die Gebäude grenzt. Es gibt hier unter anderem einen riesigen Teich, zig verschiedene Baumarten, Gemüse- und Blumenbeete. Aber das reicht echten Landmenschen natürlich nicht, also gibt es auch ein paar Pferde, Schafe und Hühner. Während Jana mir alles zeigt, schafft Thomas mit einer Schubkarre Pferdemist von seinem Entstehungsort auf eine Fläche, die mein Interesse weckt. Da wächst alles mögliche, es summt und brummt. “Hier hatten wir eigentlich unseren großen Acker, auf dem wir Kartoffeln, Mais, Sonnenblumen, Kürbisse, Gurken und vieles mehr angebaut haben”, erklärt Jana. “Aber dieses Jahr war auch auf der Arbeit, also auf den Flächen der Genossenschaft, sehr viel zu tun. Deshalb haben wir im Garten nicht so viel geschafft und die Fläche zu einer Blühfläche umfunktioniert.” Ich will ein bisschen angeben: “Da wachsen sogar noch einige Weizenpflanzen dazwischen!”. Die Körner kommen aus dem Einstreustroh der Pferde, erklärt mir Jana.
Ich weiß von Jana und Thomas, dass es ihr erklärtes Ziel ist, Biodiversität und den Anbau von Lebensmitteln bestmöglich zusammenzubringen. Dabei scheuen sie sich nicht, immer wieder neue Dinge auszuprobieren. Auch, wenn das oft auch eine Art Risikoinvestment ist, weil es erst einmal weniger Ertrag bedeutet. Städter, die die beiden nicht kennen und das jetzt lesen, denken wahrscheinlich: Achso, Biobauern! So sehr hat sich unseren Köpfen das Bild festgesetzt von den Biobauern, die “mit der Natur” wirtschaften, auf der einen, und den “Konventionellen”, die das Maximum an Ertrag herausholen wollen und die man zwingen muss, auch Natur übrig zu lassen, auf der anderen Seite. Aber zumindest auf Jana und Thomas trifft das nicht so. So gar nicht. Wenn ich sie richtig verstehe, versuchen sie sehr wohl, aus ihren bewirtschafteten Flächen möglichst viel Ertrag herauszuholen. Und das sind schließlich die Lebensmittel, die wir täglich essen. Doch sie versuchen neben diesem Hauptziel der Landwirtschaft auch, wo es geht, Kompromisse zugunsten von Biodiversität zu machen und selbstverständlich den Boden gesund zu erhalten (ich behaupte mal, dass daran alle Landwirte ein Interesse haben – denn der Boden ist schließlich zuallererst auch ihr Kapital und nicht nur ein gesellschaftliches). Und dabei gehen Jana und Thomas oft auch unkonventionelle Wege. Weshalb ich die durch das Aufkommen des Ökolandbaus entstandene Bezeichnung “konventionell” hier ziemlich unpassend finde.
Allein in diesem großen Garten gibt es so viel zu entdecken (für mich) und so viel zu tun (für Jana und Thomas), eigentlich war allein das schon den Ausflug wert, ganz im Ernst. Aber ich bin ja hier, um mir Landwirtschaft anzugucken. Und zwar trägt der Garten bestimmt einiges zur Selbstversorgung der Familie bei, aber wir anderen wollen ja auch etwas zu beißen. Wir steigen also in Janas Auto und los geht´s.
Biodiversität messbar fördern – aber wie?
Als erstes halten wir auf einer großen Wiese an. Als wir näherkommen, entpuppt es sich als…ja hm, was ist das? Ein Feld mit Unkraut?
“Dort drüben siehst Du Felder”, sagt Jana und zeigt Richtung Horizont. “Aber diese Fläche hier liegt momentan brach. Du siehst hier, wie es aussieht, wenn man ein Feld nach Bewirtschaftung einfach “in Ruhe lässt”. Es wächst erst einmal fast ausschließlich eine Art, Weißer Gänsefuß. Wir werden eine Samenmischung kaufen, damit hier wirklich eine schöne Mischung Wildblumen wächst, als Futter für Insekten.”
Das ist schon einmal die erste interessante neue Info für mich als Städter: Landwirtinnen wie Jana kaufen Saatgut von Wildblumen und bringen es aus, damit Felder und auch Blühstreifen artenreich sind. Macht die Natur nicht einfach so, zumindest nicht kurzfristig. Und langfristig würde das meiste verbuschen und schließlich verwalden. “Gleichzeitig müssen wir aber gucken,” erklärt Jana weiter, “dass wir das Feld so erhalten, dass wir es wieder in die Produktion nehmen können.” Warum sich Jana und Thomas entschieden, auf diesem Feld hier einige Zeit keine Lebensmittel anzubauen? Neben der Lebensmittelproduktion ist eine immer größer werdende Erwartung an die Landwirtschaft, dass auch die Artenvielfalt gefördert wird. Langsam hat sich (zum Glück) die Erkenntnis durchgesetzt, dass auf der einen Seite nicht nur die Landwirtschaft Schuld am Rückgang der Insekten ist und es auf der anderen Seite nicht nur die Landwirt*innen allein sein können, die diese Entwicklung verlangsamen oder sogar umkehren. Dafür wird seitens der Agrarförderung, aber auch mit privaten Initiativen (die Gäberts machen z.B. beim Projekt “Artenglück” mit) einiges an Geld ausgegeben, mit dem die Praktiker*innen bei Ihren Bemühungen unterstützt werden. Auf einem Acker eben Weizen, auf einem anderen eben ein Wildblumenmeer. Das Ganze steht aber noch sehr am Anfang, erklärt mir Jana, und es läuft dadurch noch etwas holprig, weil im Gegensatz zum Weizenertrag niemand weiß, wie man den Erfolg solcher Maßnahmen konkret misst.
Eine Schwalbe macht noch keinen Umweltschutz
Am anderen Ende des brachliegenden Feldes sieht man zwei Erdhügel, die schon teilweise überwuchert sind. Die Abbruchkanten sehen aus wie Schweizer Käse. “Da haben sich Uferschwalben angesiedelt,” erklärt mir Jana begeistert. “Das war Aushub für das Gebäude, das dahinter gebaut wurde. Eigentlich ist das auch ein Teil des Feldes. Als die Erde dort einige Zeit lag, haben wir Nachricht von gleich zwei unterschiedlichen Ämtern bekommen. Einmal von der Abfallbehörde mit dem Hinweis, dass es sich hier um eine illegale Deponie handele, die entfernt werden müsse. Sonst gäbe es eine Strafe. Und dann fast zeitgleich die Warnung von der unteren Naturschutzbehörde, dass die Erde auf keinen Fall entfernt werden dürfe, denn es hätten sich darin Uferschwalben angesiedelt. Sonst gäbe es eine Strafe.” Jana hebt die Hände. “Tja und dann stehst Du da.” Wir müssen beide kurz lachen, wirklich eine absurde Situation. Die aber aufgelöst wurde, indem Jana und Thomas das direkte Gespräch mit den Behörden gesucht haben. Nun bleibt einer der Erdhaufen dort wo er ist und wird den Uferschwalben weiterhin ein Zuhause bieten. Aber: Das ist eben auch Fläche, die für die Produktion von Lebensmitteln wegfällt. So sieht also eine Abwägung zwischen Landwirtschaft und Naturschutz in der Praxis ganz konkret aus. Über solche Zielkonflikte müssen wir viel mehr sprechen, denke ich. “Und wir finden das ja toll und sind sogar ein bisschen stolz, dass die Tiere sich da überhaupt angesiedelt haben und dass sie bleiben können.”
Mehr über solche praktischen Kooperationen von Umweltschutz und Landwirtschaft erfahrt ihr auch in Marten Urbans Beitrag und auch in einem weiteren von Jana.
Regionale Veggie-Proteine
Nicht weit entfernt halten wir an einem Feld mit einer Pflanze, die ich ehrlich gesagt nicht erkannt hätte: Kichererbse. Ich darf vorsichtig hinter Jana her zwischen den Pflanzenreihen auf das Feld laufen und auch mal anfassen. Die Blätter sind ganz weich und flaumig. Auch heimische Insekten sehen wir an den Blüten, einige Hummeln zum Beispiel. Jana und Thomas probieren hier eine neue Sorte aus, “Flamenco” heißt die. Bisher sieht das vielversprechend aus für mein Laienauge, alles scheint gut zu wachsen.
Bisher ist die Kichererbse auf deutschen Feldern nur selten zu finden. Aus Sicht von Thomas und Jana hat der Anbau der proteinreichen Hülsenfrucht aber viele Vorteile:
- wenige Verarbeitungsschritte bis zum Endprodukt
- regionale und direkte Wertschöpfung ohne lange Transportwege zu verarbeitenden Betrieben
- sehr anspruchslos, was Wasser und Nährstoffbedarf angeht
- kommt auch mit Hitze- und Dürreperioden sehr gut klar
- ist mit der aktuellen Landtechnik gut kompatibel
- ist Grundlage für eines von Thomas´ Lieblingsgerichte (Hummus) und trendet auch ein wenig, was absatzseitig interessant sein könnte.
Mehr Proteinpflanzen im Anbau bei uns bedeuten potenziell weniger Import aus anderen Regionen, in denen dafür vielleicht wertvolle Ökosysteme weichen müssen. Arten wie Soja oder Kichererbse durch Züchtung an unsere Standorte anzupassen, kann also ein wichtiger Baustein für ein nachhaltiges Ernährungssystem sein.
Später bekomme ich sogar ein Glas mit Kichererbsen vom letzten Jahr als Souvenir geschenkt. Die habe ich dann zu einem Curry gekocht, sehr lecker.
Biodiversität fördern ist oft kompliziert – zu kompliziert?
Wir fahren weiter, vorbei an einem Stück Wald, das auch zur Agrargenossenschaft Trebbin gehört. Dann biegen wir ab und fahren zwischen Feldern mit unterschiedlichen Feldfrüchten. “Hier probieren wir Zuckerrüben aus, als Zwischenfrucht”, erzählt Jana und deutet nach links. “Aber eigentlich nur, weil uns jemand Saatgut überlassen hat. Zuckerrübe ist eine sehr teure Zwischenfrucht, das machen wir normalerweise nicht.” Ich lerne ständig Neues, hoffentlich kann ich mir alles merken (Anm. d. Autors: konnte ich nicht. Ich musste Jana und Thomas beim Schreiben noch einmal mit Nachfragen löchern. Notizen wären beim nächsten Mal hilfreich. Vielleicht notiere ich mir das mal).
Wir halten an einer Kreuzung von Feldwegen und steigen aus. Jana zeigt abwechselnd in unterschiedliche Richtungen. “Dort wächst Sonnenblume, auf dem Feld hier drüben wächst Gerste.” Vor letzterem sehe ich einen breiten Blühstreifen, der richtig dicht und hoch bewachsen ist. Sieht richtig wild aus. Darin steht ein Info-Schild mit dem Titel “Vernetzung von Lebensräumen für den Artenschutz”. Es ist ein Projekt der Agrargenossenschaft mit der BASF. Am Beispiel der Grünstreifen erklärt mir Jana einige der Zielkonflikte, die sie als Landwirtin erlebt. Wie schon gesagt, sie hat eine Grundmotivation, auch der Biodiversität in ihrem Wirkungsbereich möglichst viel Gutes zu tun. Deshalb findet sie es grundsätzlich gut, dass solche Maßnahmen auch belohnt werden. Allerdings sind die Regeln, an die man sich halten muss, um die Förderung auch zu bekommen, ganz schön streng. Was auch wiederum vielleicht nicht ein so großes Problem wäre, wenn es nicht einiges gäbe, dass sie als Landwirtin nicht beeinflussen kann. Zum Beispiel muss sich in einem Blühstreifen eine bestimmte Anzahl von Pflanzenarten befinden. Sonst gibt es eine Strafe oder sogar gar kein Geld (dann hat sie als Landwirtin weder die Einnahmen durch Nutzpflanzen, die sie ja nicht angebaut hat, noch durch eine Förderung für die Biodiversitätsmaßnahme). Nun ist es aber so, dass aus einer Wildblumensamenmischung je nach Beschaffenheit des Bodens und des lokalen Klimas nicht unbedingt alle Samen auch aufgehen und alle Arten gerne dort wachsen. Der Boden hier in Brandenburg, wo die Gäberts ihren Hof haben, ist zum Beispiel ziemlich sandig. Hier wünscht sich Jana eine flexiblere Ausgestaltung, um sich weniger “an der Leine” und auch irgendwie immer “auf der Anklagebank” zu fühlen. Sie will ja Biodiversität fördern, aber ich kann verstehen, dass man sich bevormundet fühlt. Immerhin weiß sie doch aus ihrer langen Erfahrung hier vor Ort am Besten, was funktioniert und was nicht, welche spezifischen Zielkonflikte gelöst werden müssen.
“Und dann ist es noch so”, sagt sie, “dass wir die Blühstreifen ja wieder abmähen müssten. Weil, glaube ich, die Vorstellung besteht, dass nur blühende Pflanzen das sind, was Insekten brauchen und danach kann das alles weg. Dabei legen sie ihre Eier auch an Blättern und in Stängeln ab und die überwintern dort teilweise auch. Also würde ich das eigentlich gerne noch stehen lassen und in der Regel tun wir das auch.” “Auch wenn das in Städteraugen nicht mehr so schön aussehen wird”, meine ich. “Genau! Und tatsächlich muss ich es mähen und den Boden mulchen, denn so sind die Regeln, um die Prämie zu bekommen. Weil eine minimale landwirtschaftliche Aktivität auf der Fläche passieren muss, sonst kann ich dafür keine Agrarprämie mehr bekommen.”
Mir schwirrt ein wenig der Kopf. Kommt mir tatsächlich alles nicht sehr sinnvoll ausgestaltet vor, wenn Menschen wie Jana und Thomas quasi daran gehindert werden, mehr für die Biodiversität in ihrer Landwirtschaft zu tun.
Vorgaben und Förderung sind wichtig – müssen aber praxisnaher werden
“Aber mal Hand auf´s Herz,“ stelle ich Jana eine Frage, die mir schon die ganze Zeit auf den Nägeln brennt. „Ich verstehe absolut, dass das für Dich total nervig ist und am Ende hier weniger für die Biodiversität passiert, als wenn Du das einfach selbst in die Hand nehmen würdest. Aber würdest Du sagen, das trifft auf durchschnittliche Landwirte auch zu? Oder würden viele einfach gar nichts machen und bis zu den Feldrändern so viel anbauen wie möglich, wenn es diese Regeln nicht gäbe?”. Jana nickt “Ja, natürlich würden das viele machen. Ich finde es, wie gesagt, ja auch sehr gut, dass es solche Regelungen und Förderungen gibt. Wir müssen auch in den Agrarlandschaften möglichst viele Arten erhalten, das ist am Ende für uns alle wichtig. Und die Gesellschaft muss dafür auch finanzielle Anreize schaffen und die Bauern entlohnen. Aber momentan geht es wirklich in die falsche Richtung. Es kommen ja immer noch mehr Regeln hinzu, immer mehr Bürokratie. Man muss Leute einstellen oder extern bezahlen, die sich nur damit beschäftigen, dass man da alles richtig macht, um am Ende nicht leer auszugehen. Ich würde mir da mehr Kooperation zwischen praktischem Naturschutz und Landwirten wünschen, aber auch mehr Spielraum, damit wir nicht Maßnahmen umsetzen müssen, die an unserem Standort einfach sinnlos sind.”
Wir machen beide noch ein paar Fotos am Blühstreifen. Der ist wirklich toll.
Mehr zur Vielfältigkeit von Agrarlandschaften und was daraus für Herausforderungen für die Agrarpolitik entstehen, hat Bartosz Bartkowski in einem Beitrag auf diesem Blog beschrieben.
Luzernenblühfenster: ein konkretes Beispiel, wie mehr Biodiversität gelingen kann
Unsere letzte Station ist ein ganz besonderes Feld. Nein, kein Feld, sondern eine Weide. Hier wächst aber auch eine ganz besondere Pflanze: die Luzerne. Sie ist als Futter für die Kühe der Genossenschaft sehr wertig, vor allem, wenn sie vor der Blüte gemäht wird. Doch das ist natürlich schade für die ganzen Bestäuber der Luzerne, die dann an ihr kein Futter finden.Zum vierten Schnitt blüht die Luzerne meist ohnehin – allerdings ist das oft erst im September, besonders aber im Mai bis August gibt es eine große Trachtlücke.Also wieder so ein Zielkonflikt!
Es gibt eine Vielzahl von Insekten (z.B. die Luzerne-Blattschneiderbiene) die von blühender Luzerne abhängig sind. “Diese eigentlich wirklich hervorragende Trachtpflanze kann ihre Vorzüglichkeit nicht ausspielen, bzw. wir lassen das normalerweise nicht zu,” erklärt mir Thomas später. Das heißt, die Artenvielfalt hängt hier ganz direkt mit der landwirtschaftlichen Praxis zusammen. “Um die Insektenvielfalt zu fördern,” sagt Jana, während wir zu einem Bereich der Weise laufen, der nicht gemäht wurde, “lassen wir bei den ersten drei Schnitten einfach kleinere Areale des Ackers stehen und die Pflanzen zur Blüte kommen, ein Luzernenblühfenster. Da wachsen dann auch noch andere Pflanzen wie Klee und schon haben wir eine Blumenwiese, auf der wir viele Falter und andere Fluginsekten beobachten können. Aber eben auch einen gewissen Minderertrag beim Futter, das muss man immer dazusagen. Der ist in diesem Fall aus unserer Sicht aber zu verkraften und deshalb leisten wir diesen Beitrag zur Artenvielfalt sehr gerne.”
Viele Antworten, neue Fragen
Wir fahren zurück zum Hof und ich will die beiden nicht noch länger in Beschlag nehmen. Immerhin gibt es trotz der ganzen Arbeit in der Landwirtschaft auch noch ein Privatleben. Mit einem Glas Kichererbsen als Souvenir verlasse ich den Hof der Gäberts (komme aber bestimmt wieder), mit vielen neuen Eindrücken im Kopf. Ich habe viel gelernt und konnte Antworten auf viele Fragen bekommen, vom Anbau neuer Sorten wie der Kichererbse, über ganz konkrete Maßnahmen zur Förderung der Artenvielfalt bis hin zu den vielen Zielkonflikten, die diese nicht immer einfach machen. Aber mindestens genauso viele neue Fragen haben sich aufgetan. Wie können die richtigen Anreize und Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit Landwirtinnen und Landwirte für mehr Biodiversität auf ihren Flächen sorgen können? Auf jeden Fall, da bin ich nach meinem Besuch sicher, müssen diese Rahmenbedingungen sich zwar an gesellschaftlichen Zielen orientieren, aber in ihrer konkreten Ausgestaltung von der Praxis her gedacht werden. Und nicht umgekehrt in praxisfernen, theoretischen Sphären ihren Ausgang nehmen, um dann den Bedingungen vor Ort übergestülpt zu werden. Denn sonst ist es unwahrscheinlich, dass im Ergebnis wirksame Maßnahmen herauskommen. Jana und Thomas engagieren sich über ihre Tätigkeit in der Landwirtschaft hinaus in politischen Debatten und bringen so die wichtige Sicht aus der Praxis ein. Ich denke, das muss man noch viel mehr ermöglichen.
Danke Jana und Thomas, dass ich euch besuchen durfte!
PS: nur kurze Zeit später kam sogar der Bundeskanzler höchstpersönlich zu Besuch auf dem Hof der Gäberts. So ein Nachmacher 😛
Wir starteten am Kälberstall und haben mehrere Stationen aufgebaut. Es ging um regenerative Energien und regenerative Landwirtschaft. Solar auf dem Dach, Windkraft und Humusaufbau auf dem Acker, regionale Nährstoffkreisläufe, soziale Verantwortung im ländlichen Raum. pic.twitter.com/WQmYVPucQC
— LandwirtinausLeidenschaft (@landwirtinaus) August 20, 2022
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