PAW on Tour: Besuch und Tasting bei Formo

Im Januar hatten wir (Hanno, Peter und Martin) die Gelegenheit, die Welt der Präzisionsfermentation hautnah zu erleben. Und zwar bei Formo, einem Berliner Start-up, das sich mit der Zukunft der Milchprodukte beschäftigt und ihre Produktion ganz neu denkt. Und wir durften nicht nur die Büros und Labore besuchen – wir durften sogar Formos Käse probieren!

Das Bürogebäude der Formo Bio GmbH am Ufer der Spree ist eine Synthese von altem Gemäuer und hochmodernen Glasbau, von Tageslicht durchflutet. Es wirkt wie eine Mischung aus trendigem Tech-Startup, Versuchsküche und Labor – ein Ort, an dem über die Zukunft nicht nur nachgedacht, sondern ganz praktisch an ihr gewerkelt wird. Die 20 Agrarstudenten von Peter Breunig von der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf, die uns bei diesem Besuch begleiteten, schienen durch diese Atmosphäre ebenfalls angeregt, sich mit den Möglichkeiten auseinanderzusetzen, die sich durch die Produktion tierfreier Milchprodukte mithilfe genetisch modifizierter Mikroorganismen eröffnen. Und doch trafen hier auch Welten aufeinander: Viele von ihnen sind auf Milchviehbetrieben aufgewachsen und beschäftigten sich in ihrem Studium vor allem mit ökonomischen Aspekten Landwirtschaft, Tierhaltung und deren Produkten. Die traditionelle Art und Weise, Milch mit einer Kuh herzustellen, ist ihnen also quasi in die Wiege gelegt. Wir fanden es eine spannende Idee, diese beiden Welten zusammenzubringen für einen konstruktiven, aber auch kritischen Austausch.

Das Bürogebäude des Start-ups Formo im Osten Berlins
Das „Hauptquartier“ der Formo Bio GmbH liegt im Osten von Berlin, direkt an der Spree.

Formo setzt bei seiner Arbeit auf die Präzisionsfermentation. Bei diesem Verfahren werden Mikroorganismen genutzt, um Proteine, Fette und andere biologsiche Verbindungen herzustellen, die normalerweise in anderen Organismen vorkommen. Bei Formo wird mit dieser Methode Casein produziert, das der Hauptbestandteil ihrer tierfreien Milchprodukte sein soll. Zwar ist das erst einmal noch keine vollständige Imitation von echter Kuhmilch, weil sich in dieser noch andere Bestandteile finden. Aber Casein bildet den Hauptbestandteil, der für die Herstellung von Käse nötig ist. Da andere Start-ups bereits an weiteren Bestandteilen arbeiten, könnten sie in der Mischung in Zukunft schon sehr nahe an Kuhmilch und Käse herankommen.

Die Mikroorganismen werden in einer kontrollierten Umgebung (einem Bioreaktor) gefüttert und aufgezogen. Ihre Gene wurden so verändert, dass sie die gewünschten Proteine herstellen. Anschließend wird das Endprodukt herausgefiltert und das Protein von den Mikroorganismen getrennt. Dieser Prozess ermöglicht es, Milchprodukte herzustellen, ohne dass Tiere beteiligt sind und ohne dass die veränderte DNA am Ende im Produkt landet. Es wird sich also sehr wahrscheinlich nicht um ein Lebensmittel handeln, das nicht als ein Produkt von Gentechnik gekennzeichnet werden muss. Stattdessen handelt es sich um ein sogenanntes “Novel Food”.1

Mit einer Präsentation erklärt uns Oscar Zollmann Thomas die Ziele und den Ansatz von Formo. Danach gibt es eine rege Diskussion.

Falls sich der tierfreie Käse von Formo und anderen Start-ups durchsetzen würde, könnte das nicht nur die Milchindustrie sehr verändern, sondern auch die Zukunft der Landwirtschaft insgesamt. Die Nutzung dieser Technologie wird es voraussichtlich ermöglichen, den ökologischen Fußabdruck der Agrarbranche zu reduzieren und gleichzeitig die weltweit steigende Nachfrage nach Milchprodukten zu befriedigen. Formo konzentriert sich zunächst auf Käse, den sie im Vergleich zu Milch sinnvoller für den Markteintritt halten. Für Milch gibt es inzwischen pflanzliche Alternativen, die immer mehr an Akzeptanz gewinnen. Vegane Käsealternativen sind bisher eher… naja ihr wisst schon (kommentiert aber gerne, falls ihr das anders seht und ganz tolle pflanzliche Käseimitationen kennt). Das ist ja auch nicht verwunderlich, denn die Herstellung von Käse ist ein über viele Jahrhunderte perfektionierter Prozess, bei dem Fermentation zum Einsatz kommt. Und das ist auch bei Käse aus Präzisionsfermentation nicht anders, denn nur die Milchproteine werden ja auf eine neue Art und Weise hergestellt. Für den anschließenden Reifungsprozess kann auf die jahrhundertealte Expertise der Käseherstellung zurückgegriffen werden.

In den Laboren dürfen wir keine Fotos machen. Aber als Entschädigung hier ein Foto von Hanno und Martin mit Schutzhauben. Wunderschön oder?

Formo hat kürzlich eine Finanzierung von 42 Millionen Euro in einer Series-A-Runde erhalten, was die Weiterentwicklung der tierfreien Milchprodukte natürlich kräftig unterstützt.2 Viele Start-ups aus dem New Food Bereich planen, ihre Produkte zunächst in anderen Ländern wie Israel, USA oder Singapur auf den Markt zu bringen, da die EU-Regulierung komplex bzw. bisher ziemlich unklar und langwierig ist. Die Zulassung von Fleisch aus Zellkultur verlief in Singapur zum Beispiel bereits ziemlich unkompliziert und schnell, sodass das Land das erste der Welt war, in dem diese Innovation auf den Markt durfte.

Aber genug von der Theorie! Wir hatten während unseres Besuchs tatsächlich die außergewöhnliche Möglichkeit, einige der tierfreien Käseprodukte von Formo zu probieren (ein Traum wurde wahr, vor allem für Martin). Zur Verkostung gab es Alternativen für Frischkäse, Gouda und Feta. Und wir waren baff, ganz ehrlich! Besonders der Feta war erstaunlich “echt”. Der Gouda von der Textur her noch etwas weich und das Aroma nicht besonders kräftig (wobei es ja auch genau solchen Gouda aus Kuhmilch im Supermarkt gibt). Und noch sind die Sorten in der Entwicklung, wir haben also nur Prototypen probiert. Unser Fazit von diesem Tasting: Als Alternative zu Käse aus Kuhmilch ist Käse von Mikroorganismen eigentlich alternativlos, gerade mit Blick auf die oftmals faden pflanzenbasierten Varianten. Sehr gut möglich, dass genetisch veränderte Mikroorganismen eine Revolution auf dem Käsemarkt ermöglichen werden.

Käse von Formo auf einem Brett angerichtet

Im Zuge der Expansion plant Formo, neue Büroflächen in Frankfurt am Main zu eröffnen, die als Zentrum für das Team von Wissenschaftlern dienen werden, die an der Weiterentwicklung der Mikroorganismen arbeiten. Dabei ist man auf der Suche nach jungen Talenten und auch Bioreaktoren müssen angemietet werden, um die Produktion zu erweitern. Überhaupt scheint neben der Regulierung und ausreichenden Investitionen vor allem auch die Skalierung eine der größten Herausforderungen zu sein. Akzeptanz ist, wie bei allen Innovationen im Lebensmittelbereich, eine weitere potenzielle Hürde. Aktuelle Umfragen in den USA lassen aber vermuten, dass diese Hürde gar nicht so hoch sein dürfte, wie manche vielleicht annehmen.3

Hanno, der Glückspilz, konnte vor kurzer Zeit die nächste Verkostung durchführen und hat in den USA das Eis von Brave Robot getestet. Es wird ebenfalls mithilfe von Präzisionsfermentation hergestellt. Die Molkeproteine stammen in diesem Fall vom US-Startup Perfect Day. Fazit: Sehr gut und fast identisch zum Original. Nur nicht ganz so cremig, wie wir es von konventionellem Milcheis kennen.

Eis von Brave Robot

Wie schon erwähnt, auch für bestehende Landwirtschaft und Industrie stellt diese neue Art der Produktion eine potenzielle Herausforderung dar. Und genau wie neue Technologien, sollte man sich auch diese Herausforderungen genauer ansehen und erforschen. Schließlich geht es bei der Milchwirtschaft um einen wichtigen Wirtschaftszweig, um sozioökonomische Zusammenhänge, kulturelle Aspekte und auch nicht zuletzt um die Tatsache, dass potenzielle Verbesserungen hinsichtlich Nachhaltigkeit durch neue Ansätze nicht unbedingt auch so eintreten müssen, wie erwartet. Was ist mit Veränderungen in der Landnutzung, zum Beispiel einem Rückgang von Grünlandbeweidung, der mit einer Skalierung von Bioreaktoren einhergehen könnte? Wie wirkt sich eine zumindest teilweise Verlagerung der Veredelung von pflanzlichen in tierische Proteine von Bauernhöfen in die verarbeitende Industrie auf Wertschöpfung, Beschäftigung und Strukturen in ländlichen Räumen aus? Zu all diesen und mehr Fragen gab es zwischen den Agrarstudis und den Mitarbeiter*innen von Formo ein angeregtes Gespräch. Bei Progressive Agrarwende verstehen wir uns als Plattform für genau diese Art konstruktiven, offenen Austausch – wir verbuchen den Besuch bei Formo also als vollen Erfolg.

Wir waren sehr happy, dass wir einen Blick hinter die Kulissen der Präzisionsfermentation werfen durften. (von links nach rechts: Martin, Hanno, Peter)

Wir blicken gespannt auf die zukünftigen Entwicklungen im Bereich der tierfreien Milchprodukte und ihre Auswirkungen auf die Landwirtschaft und beobachten weiterhin die Entwicklung unterschiedlicher Ansätze der Fermentation. Insgesamt sind wir optimistisch, dass mehr Nachhaltigkeit im Ernährungssystem möglich ist und auch neue Ansätze wie der von Formo eine wichtige Rolle spielen werden.

Und wir freuen uns schon auf das nächste Tasting, wenn ihr also ein abgefahrenes Food Start-up gegründet habt, meldet euch gerne bei uns, wir probieren gerne 😛

 

Weiterführende Quellen und Beiträge:

Falls ihr euch näher für den aktuellen Stand der neuen Fermentations-Branche interessiert, können wir den “State of the Industry Report” des Good Food Institute sehr empfehlen: https://gfi.org/resource/fermentation-state-of-the-industry-report/ (Englisch)

Auf unserem ÖkoProg-Blog findet ihr einen deutschen Beitrag über Präzisionsfermentation: https://oekoprog.org/praezisionsfermentation/

Und auch auf diesem Blog findet ihr Beiträge zu verwandten Themen, zum Beispiel Bioreaktoren auf Bauernhöfen, Vegan 2.0 und Fleisch aus Zellkultur.

Hanno Koßmann
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Martin Reich

Einzelnachweise

  1. Unter der Novel Food Regulierung der EU werden alle Lebensmittel besonders behandelt, die vor 1997 in der EU in keinem signifikanten Ausmaß konsumiert wurden. Mehr hier: https://www.efsa.europa.eu/de/topics/topic/novel-food
  2. https://www.businessinsider.de/gruenderszene/food/formo-berliner-food-startup-sammelt-50-millionen-us-dollar-fuer-laborkaese-ein-b/
  3. https://www.fooddive.com/news/precision-fermentation-consumer-acceptance-study-hartman-group/644315/

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