Kultivieren statt Schlachten?

Was genau ist In-vitro-Fleisch oder „Laborfleisch“? Wie wird es produziert und wie kann es im Kampf gegen den Klimawandel helfen?

Dieser Blogeintrag basiert auf dem Artikel „Laborfleisch – Aktuelle Trends und Technologien“ von Theresa Nienaber, Margareta Hellmann, Clemens Hollah und Volker Heinz erschienen in der „Rundschau für Fleischhygiene und Lebensmittelüberwachung (RFL)“ (Ausgabe Juni 2020).

“We shall escape the absurdity of growing a whole chicken in order to eat the breast or wing, by growing these parts separately under a suitable medium.”1

Schon 1931 wurde dieser Satz von Winston Churchill veröffentlicht, der die Idee beschreibt, auch ohne das Schlachten von Tieren Fleisch produzieren zu können.2 Seine Vision von damals ist heute Realität geworden: In-vitro-Fleisch (häufig auch „Laborfleisch“, Cultivated Meat oder Clean Meat) ist das Ergebnis der Kultivierung tierischer Stammzellen. Doch wie genau wird aus wenigen Zellen das essbare Produkt? Und warum ist diese zelluläre Landwirtschaft für unseren Planeten besser als traditionelle Tierhaltung?

Warum brauchen wir Alternativen zu traditionellem Fleisch?

Die traditionelle Fleischproduktion stellt heute einen Schlüsselfaktor des Klimawandels dar, da dabei 18% der globalen Treibhausgase freigesetzt werden.3 Dies hängt zum einen mit der Brandrodung zusammen, die genutzt wird, um Wälder zu entfernen und Platz für Anbaufläche für Tierfutter zu schaffen. Zum anderen erzeugt das Vieh selbst eine beachtliche Menge an Treibhausgasen; insbesondere Rinder als Wiederkäuer stoßen Methan aus, das ein 25-Mal stärkeres Treibhausgaspotential hat als CO2.4 Zudem sollte jedem bewusst sein, dass die Brandrodung von Wäldern nicht nur CO2 erzeugt, sondern auch Naturräume und Biodiversität zerstört.

Dieses Problem wird sich in Zukunft sogar noch weiter verschärfen, denn durch die wachsende Weltbevölkerung, die Zunahme allgemeinen Wohlstands und die Urbanisierung nimmt die Nachfrage nach tierischem Protein weltweit stetig zu. Es leben schlicht immer mehr Menschen auf dem Planeten, die es sich leisten können und wollen, regelmäßig Fleisch zu essen. Das bedeutet: mehr notwendige Fläche, mehr Wasserverbrauch, mehr Brandrodung, mehr Treibhausgase. Zusätzlich zum Aspekt Klima spielt eine Rolle, dass Ackerland, Weidefläche und Wasser limitierte Ressourcen sind, die nicht unendlich ausgedehnt werden können und dadurch die Produktionskapazitäten für Fleisch schlicht an ihre Grenzen stoßen werden. Schon heute werden 30% der eisfreien Landfläche und 8% des Süßwassers für die Produktion von Fleisch verwendet.5 Dabei sollte man sich bewusst machen, dass es sich dabei größtenteils um eine „Veredelung“ von pflanzlichen Kalorien handelt. Statt diese direkt aufzunehmen, verfüttert man pflanzliche Nahrung an Tiere, um danach Kalorien in Form von Fleisch zu sich zu nehmen. Über verschiedene tierische Produkte gemittelt bleiben nur 7-8% der Kalorien übrig, die vorher als „Pflanzenkalorien“ des Tierfutters eingesetzt wurden.6 Ein konkretes Beispiel, das auch zeigen soll, welche Rolle der Typ Fleisch spielt: Pro Kilogramm Schweinefleisch werden 5.9 kg Getreide benötigt, bei Rindfleisch sind es sogar 13 kg Getreide.7 Zwar ist wahr, dass auch Grasland zu Ernährung von Vieh verwendet wird, das nicht effizient für den Anbau von „Pflanzenkalorien“ für den menschlichen Verzehr genutzt werden könnte. Doch in vielen Ländern werden Tiere hauptsächlich durch Ackerfutter und nicht durch Grasland ernährt und zudem ist zu beachten, dass ein Teil des heutigen Graslands historisch Wald war, der ein viel höheres CO2-Fixierungspotential hat.

Darüber hinaus wirft die traditionelle Fleischproduktion in Form von Intensivtierhaltung Fragen zu Tierschutz und Tierwohl auf, aber auch zu Fragen der öffentlichen Gesundheit, wenn es z. B. um den Einsatz von Antibiotika und die Entwicklung multiresistenter Keime geht.

Hohe Ansprüche: Umweltfreundlich, lecker und günstig

Um zukünftig eine Alternative zu traditionell erzeugtem Fleisch darzustellen, muss In-vitro-Fleisch zwei wesentliche Voraussetzungen erfüllen: Mimikry und Effizienz. Ersteres bezieht sich auf die Ähnlichkeit zu Fleischerzeugnissen. Das heißt, In-vitro-Fleisch muss seinem traditionell erzeugten Pendant in sensorischen Gesichtspunkten (Textur, Geruch, Aussehen, Geschmack) und in puncto Nährstoffen möglichst nahekommen bzw. dieses sogar übertreffen. Der Aspekt Effizienz vereint CO2-Fußabdruck, Umweltauswirkungen, Produktionskapazität und Preis. Nur wenn In-vitro-Fleisch wirklich klima- und umweltfreundlicher ist und in großen Mengen zu einem vergleichbaren Preis hergestellt werden kann, ist es gegenüber traditionellem Fleisch wettbewerbsfähig.8 Die noch hohen Produktionskosten sind dabei aktuell eine der größten Hürden.

Der Erfolg alternativer Lebensmittel hängt letztendlich auch vom Verbraucher ab. Studien mit Teilnehmern aus Europa legen nahe, dass „Laborfleisch“ oft als unnatürlich wahrgenommen wird, was mit der Vorstellung der Verbraucher von Fleisch als Naturprodukt kollidiert.9 Des Weiteren zeigt eine Studie von 2015 mit belgischen Teilnehmern, dass Unsicherheiten bezüglich der Sensorik (Textur, Geruch, Aussehen, Geschmack) sowie der erwartete, hohe Verkaufspreis für In-vitro-Produkte maßgeblich für die geringe Akzeptanz verantwortlich sind. Zunächst erklärte nur ein Viertel der Teilnehmer eindeutig, sie würden „Laborfleisch“ probieren. Nachdem die Studienteilnehmer jedoch über die ökologischen Vorteile aufgeklärt wurden, erhöhte sich deren Bereitschaft stark auf 43%.10

Ist In-vitro-Fleisch denn wirklich klimafreundlich?

Diese Frage lässt sich nicht so einfach beantworten, obwohl die Klimafreundlichkeit immer als einer der größten Pluspunkte von In-vitro-Fleisch gesehen wird. Verschiedene Life Cycle Assessment Studien11,12,13 lassen den Schluss zu, dass In-vitro-Fleisch bezüglich Treibhausgasemissionen, Wasserverbrauch und Landnutzung höchstwahrscheinlich deutlich besser abschneidet als traditionell produziertes Fleisch. Zu der geringeren Menge an Treibhausgasen trägt maßgeblich bei, dass die Produktion von In-vitro-Rindfleisch anders als die Haltung von Rindern kein Methan freisetzt. Je nach Studie benötigt die Herstellung von In-vitro-Fleisch jedoch höhere Mengen an Energie im Vergleich zu traditioneller Fleischproduktion. Daher ist die Art der Energieerzeugung (aus fossilen Energieträgern oder regenerativ) ein entscheidender Faktor für die Klimabilanz von In-vitro-Fleisch.14,15

Da In-vitro-Fleisch bisher nur in kleinem Maßstab hergestellt wird, ist außerdem schwer abzuschätzen, wie ressourcen- und besonders wie energieintensiv die Produktion wirklich ist, wenn sie erstmal auf einen großindustriellen Maßstab hochskaliert wird. Außerdem sollte beachtet werden, dass die Produktionsverfahren aktuell Gegenstand intensiver Forschung und Weiterentwicklung sind. Eine abschließende Beantwortung der Frage, wie klimafreundlich In-vitro-Fleisch wirklich ist, wird daher erst in Zukunft möglich sein.

Investitionen in dreistelliger Millionenhöhe

In den vergangenen zehn Jahren ist die Anzahl an Firmen und Forschungsprojekten im Bereich der zellulären Landwirtschaft rasant gestiegen. Viele Start-Ups haben ihren Ursprung in den USA (z. B. Memphis Meats, JUST (ehemals Hampton Creek), Finless Foods) und Israel (u. a. SuperMeat, Future Meat und Aleph Farms), aber auch Integriculture aus Japan, Biotech Foods aus Spanien und Mosa Meat aus den Niederlanden sind auf dem wachsenden Markt aktiv. Letzteres wurde 2013 als Spin-off der Universität Maastricht gegründet, nachdem dort im selben Jahr der erste im Labor gezüchtete Burger Patty hergestellt worden war. Die Produktionskosten betrugen zu der Zeit etwa 250.000 Euro.16

Die steigende Bedeutung der Branche zeigt sich auch in den enormen Investitionssummen, ein Beispiel dafür ist das amerikanische Unternehmen Memphis Meats. 2017 beteiligten sich Cargill, Bill Gates, Richard Branson und weitere Investoren mit 17 Millionen Dollar17, 2018 wurde die Liste der Investoren um Tyson Foods erweitert.18 Memphis Meats erhielt 2020 in einer neuen Finanzierungsrunde unter Führung der SoftBank Group, Norwest und Temasek weitere 161 Millionen Dollar, wodurch die Gesamtfinanzierung des Unternehmens auf über 180 Millionen Dollar gestiegen ist.19

Im Jahr 2019 erhielt das israelische Future Meat eine 14 Millionen Dollar-Finanzierung für den Bau seiner ersten Pilotanlage, wodurch die Produktionskosten für In-vitro-Fleisch laut Unternehmensangaben bis 2022 auf 10 Dollar/Pfund gesenkt werden könnten.20 Die deutsche PHW-Gruppe schloss ein Jahr zuvor eine strategische Partnerschaft mit dem anderen großen israelischen Player SuperMeat.21

Wie produziert man überhaupt In-vitro-Fleisch?

Das Ziel bei der Produktion von In-vitro-Fleisch ist es, Skelettmuskelgewebe zu erzeugen, dessen Morphologie und Nährwerte denen von herkömmlichem Fleisch ähnelt. Auf der Website von Mosa Meat ist deren Produktionsprozess detailliert beschrieben. Der erste Schritt ist die Entnahme einiger Stammzellen aus dem Muskel eines Tieres (zum Beispiel einer Kuh für die Rindfleischherstellung), was mittels Biopsie unter Narkose erfolgt. Die entnommenen Zellen, sogenannte Satelliten-Zellen, werden im nächsten Schritt – der Proliferation – in ein Medium mit Nährstoffen und natürlich vorkommenden Wachstumsfaktoren [meist Fötales Kälberserum; Englisch: fetal bovine serum – FBS] gegeben und vermehren sich; dieser Vermehrungs- und Wachstumsprozess findet meist in einem Bioreaktor statt. Um die Differenzierung zu Muskelzellen zu initiieren, wird in einem nächsten Schritt die Zufuhr von Wachstumsfaktoren reduziert. Hydrogele und fixe Ankerpunkte erleichtern den Vorgang der Differenzierung. Anschließend verschmelzen die neu gebildeten Muskelzellen auf natürliche Weise zu Myotuben, d. h. zu primitiven Muskelfasern von maximal 0.3 mm Länge. Die Myotuben werden dann in ein Gel gelegt, das zu 99 % aus Wasser besteht, wo sie die Form von Muskelfasern ausbilden. Die zelleigene Neigung zur Kontraktion bewirkt, dass sich die Zellen zu einem kleinen Muskelstrang verdichten. Wenn all diese Stränge zusammengeschichtet werden, entsteht schließlich In-vitro-Fleisch, das mit etablierten Lebensmitteltechnologien zu Fleischprodukten weiterverarbeitet werden kann.22

Dieser Prozess unterliegt natürlich ständiger Verbesserung durch neue Forschungsergebnisse. Beispielsweise ist ein Ziel, statt der Produktion in Batches ein kontinuierliches Verfahren zu entwickeln.23 „Gerüste“, sogenannte Scaffolds sind ebenfalls von Interesse, die für eine verbesserte Textur sorgen sollen, aber dabei essbar und Teil des fertigen Produkts sein sollen.24 Besonders wichtig ist jedoch, das sehr teure und ethisch bedenkliche fötale Kälberserum (FBS) mit nicht tierischen Alternativen zu ersetzen; dazu werden Pilz-, oder Algenextrakte und weitere serumfreie Nährlösungen getestet.25 Die meisten Unternehmen betonen, ihre zukünftigen marktreifen Produkte sollen FBS-frei sein.

Preis und Vermarktung als Knackpunkte des Erfolgs

Wie bereits angedeutet, hängt der Erfolg von künstlich erzeugtem Fleisch maßgeblich von zwei Faktoren ab, nämlich dem Verkaufspreis und der Vermarktung. Es ist davon auszugehen, dass In-Vitro-Fleisch bei seiner Markteinführung teurer sein wird als traditionell erzeugtes Fleisch. Als mögliche Zielgruppe in der Anfangsphase kämen daher zunächst Konsumenten der Mittel- und Oberschicht infrage, denen In-vitro-Fleisch als Premiumprodukt der Gourmetklasse bei ausgewählten Restaurants angeboten werden könnte.26 Der hohe Preis wiederum wäre durch die Vorteile für die Umwelt oder für die Gesundheit (z. B. durch ein besseres Nährwertprofil) zu relativieren.

Um das Produkt massentauglich zu machen, muss auf jeden Fall der Verkaufspreis sinken. Das israelische Start-Up Future Meat plant beispielsweise nach eigenen Angaben bis 2021 den Launch erster Hybridprodukte zu wettbewerbsfähigen Kosten und bis 2022 den Launch von Produkten aus 100 % Zellfleisch zu einem Preis von weniger als 10 Dollar pro Pfund.27 Mosa Meat veröffentliche 2020 die Mitteilung, dass der Preis für ihr FBS-freies Serum zwischen September 2019 und Juli 2020 bereits über 80-fach reduziert werden konnte.28 Darüber hinaus wird entscheidend sein, das häufig von Verbrauchern geäußerte Gefühl von Ekel gegenüber „Laborfleisch“ zu überwinden. Daher möchte z. B. Mosa Meat vermeiden, dass der Kunde seine Produkte mit laborähnlichen Produktionsanlagen assoziiert, sondern fördert stattdessen den Vergleich zur Produktion von Joghurt oder Bier.29 Auch dort werden mithilfe von Bioreaktoren Lebensmittel hergestellt und diese erscheinen dem Durchschnittskunden nicht „unnatürlich“.

„Fleisch“ oder nicht „Fleisch“ – Die Debatte um die Kennzeichnung

Auch die Klärung der Frage nach der Kennzeichnung als „Fleisch“ könnte maßgeblich zum Erfolg oder Misserfolg von In-vitro-Fleisch beitragen. Dies wird in den USA seit einiger Zeit heftig diskutiert. Auf der einen Seite stehen Verbände wie die US Cattlemen’s Association, die eine Etikettierung als „Fleisch“ mit dem Verweis auf die unkonventionelle Erzeugung strikt ablehnen und sogar 2018 eine entsprechende Petition beim US Department of Agriculture eingereicht haben.30 Auf der anderen Seite argumentieren Vertreter und Befürworter der zellulären Landwirtschaft für eine Etikettierung, die das Wort „Fleisch“ enthält. Für beide Lager steht viel auf dem Spiel; Josh Tetrick, der CEO von JUST bringt es auf den Punkt: “If it’s not called meat, well then less people will eat it.”31 Wenn am Ende auf der Packung „Fleisch“ stehen darf, erwarten In-vitro-Fleisch-Produzenten mehr Gewinn und traditionelle Fleischproduzenten wie die Mitglieder der US Cattlemen’s Association mehr Konkurrenz.

Stand Anfang 2019 beschäftigen sich mehr als 30 US-Bundesstaaten mit den sogenannten truth in labelling“-Gesetzen, die verhindern sollen, dass Worte wie „Fleisch“ oder „Rindfleisch“ zur Beschreibung von In-vitro-Fleisch verwendet werden. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden in zwölf Staaten entsprechende Gesetze verabschiedet, was als klare Botschaft an die bundesstaatliche Regulierungsbehörde gesehen wird.32 Im Sommer 2020 ließen die US-Behörden FDA und USDA verlauten, sie würden gemeinsam an einer Lösung zur Regulierung der Etikettierung von In-vitro-Fleisch arbeiten.33 In der Europäischen Union fallen Lebensmittel, die aus Zell- oder Gewebekulturen von Tieren hergestellt werden, in den Geltungsbereich der Novel-Food-Verordnung und bedürfen als neuartiges Lebensmittel einer Zulassung durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA).34 Da die derzeitige Definition von Fleisch in der Lebensmittelinformationsverordnung nicht auf In-vitro-Fleisch anwendbar ist, erscheint eine explizite Angabe zum Herstellungsprozess auf dem Etikett wahrscheinlich.

Aber gibt es nicht schon pflanzliche Fleischersatzprodukte?

Der folgende Absatz basiert auf der Forschung und den Technologien des Deutschen Instituts für Lebensmitteltechnik (DIL).

Produkte auf Basis von pflanzlichem Protein stellen bereits heute eine nachhaltigere Alternative dar, u. a. durch die Nutzung von Nebenprodukten und Nebenströmen. Die Technologie, die für die Herstellung sogenannter Fleischanaloga eingesetzt wird, ist die Nass- oder High-Moisture-Extrusion (HME). Bei diesem Verfahren kommt ein Doppelschneckenextruder zum Einsatz, in dessen Zylinder Wasser und Trockenkomponenten – pflanzliches Proteinkonzentratpulver im Fall vegetarischer oder veganer Fleischersatzprodukte – gemischt, erhitzt, gekocht und schließlich durch eine Kühldüse gepresst werden. Durch die Abkühlung und Verfestigung des Gemisches von außen nach innen entsteht ein spezifisches Strömungsprofil und dadurch eine fleischähnliche Faserstruktur. Der Proteingehalt solcher Extrudate liegt bei etwa 20 %, je nach Rohstoff, Prozessbedingungen und gewünschtem Grad der Texturierung. Das Verfahren ermöglicht die Erzeugung fleischähnlicher Texturen ohne den Einsatz von Zusatzstoffen wie Verdickungs-, Binde- oder Geliermitteln und eröffnet damit viele Möglichkeiten in der Produktentwicklung. Besonders umfassend untersucht ist die Texturierung von Soja- und Erbsenprotein sowie von Weizengluten; andere pflanzliche Eiweißquellen, wie z. B. die in Europa beheimatete Blaue Süßlupine, stellen ebenfalls geeignete Rohstoffquellen für nass-extrudierte Fleischanaloga dar. Neben den rein pflanzlichen Erzeugnissen existieren auch sogenannte Meat Hybrids, in denen Proteine aus pflanzlichen und tierischen Quellen verarbeitet sind. Die HME ermöglicht hier auch eine Restrukturierung und damit Aufwertung von Nebenprodukten der Fleischverarbeitung, wie z. B. Kochschinken- oder Brühwurstkappen. Durch die Kombination optimierter Extrusionsverfahren mit geeigneten Nachbearbeitungsschritten (Schneiden, Formen, Braten, etc.) können ansprechende Fleischanaloga mit hohem Mehrwert erzeugt werden. Schließlich lässt sich mittels Nassextrusion auch Insektenbiomasse zu Fleischersatzprodukten verarbeiten. So konnten aus Soja- und Insektenproteinkonzentrat (Getreideschimmelkäfer, Alphitobius diaperinus) erfolgreich Zwischenprodukte mit fleischähnlicher Textur hergestellt werden; diese blieb bis zu einem Gehalt von 40 % Insektenproteinkonzentrat (Trockensubstanz) erhalten und führte zu Fleischanaloga mit Eiweißgehalten von über 25 %.35

Fazit

Im Augenblick stellen der Preis und die Hemmung des Verbrauchers die größten Hürden für die Wettbewerbsfähigkeit von In-vitro-Fleisch dar. Die Produktion in kleinem Maßstab und mit kostspieliger, umstrittener Nährlösung (Stichwort: FBS) sorgt dafür, dass der Preis für In-vitro-Produkte noch deutlich über dem von traditionell erzeugtem Fleisch liegt; dies gilt insbesondere für den Vergleich mit Schweine- und Geflügelfleisch, das heutzutage sehr kosteneffizient erzeugt wird. Nichtsdestotrotz deuten massive Investitionen in Start-Ups wie Memphis Meats, ehrgeizige Ziele für die kommenden Jahre wie bei Future Meat und die steigende Nachfrage nach alternativen Proteinquellen darauf hin, dass In-vitro-Fleisch mittelfristig eine Alternative zu traditionell erzeugtem Fleisch darstellen könnte. Dabei wird es sich jedoch auch gegenüber pflanzlichen Fleischanaloga behaupten müssen.

Margareta Hellmann

Einzelnachweise

  1. frei übersetzt: „Wir sollten der Absurdität entkommen, ein ganzes Huhn wachsen zu lassen, um die Brust oder den Flügel zu essen, indem wir diese Teile einzeln in einem geeigneten Medium heranziehen.“
  2. https://www.nationalchurchillmuseum.org/fifty-years-hence.html – Rede von Winston Churchill, 1931
  3. Steinfeld, H. et al. (2006) Livestock’s Long Shadow: Environmental Issues and Options. Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO).
  4. https://www.umweltbundesamt.de/themen/klima-energie/klimaschutz-energiepolitik-in-deutschland/treibhausgas-emissionen/die-treibhausgase
  5. Steinfeld, H. et al. (2006) Livestock’s Long Shadow: Environmental Issues and Options. Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO).
  6. Shepon, A. et al. (2016) “Energy and protein feed-to-food conversion efficiencies in the US and potential food security gains from dietary changes,” Environmental Research Letters. IOP Publishing, 11(10).
  7. Pimentel, M. (2003) “Sustainability of meat-based and plant based diets and the environment,” The American Journal of Clinical Nutrition, 78(suppl), pp. 660–663.
  8. Post, M. J. (2012) “Cultured meat from stem cells: Challenges and prospects,” Meat Science. Elsevier Ltd, 92(3), pp. 297–301.
  9. Verbeke, W. et al. (2015) “‘Would you eat cultured meat?’: Consumers’ reactions and attitude formation in Belgium, Portugal and the United Kingdom,” Meat Science. Elsevier Ltd, 102, pp. 49–58.
  10. Verbeke, W., Sans, P. and Van Loo, E. J. (2015) “Challenges and prospects for consumer acceptance of cultured meat,” Journal of Integrative Agriculture. Chinese Academy of Agricultural Sciences, 14(2), pp. 285–294.
  11. Mattick, C. S., Landis, A. E., Allenby, B. R. & Genovese, N. J. Anticipatory life cycle analysis of in vitro biomass cultivation for cultured meat production in the United States. Environ. Sci. Technol. 49, 11941–11949 (2015).
  12. Tuomisto, H. L. & de Mattos, M. J. Environmental impacts of cultured meat production. Environ. Sci. Technol. 45, 6117–6123 (2011).
  13. Tuomisto, H. L., Ellis, M. J. & Haastrup, P. in LCA Food 2014 (eds Schenck, R. & Huizenga, D.) 1360–1367 (Vashon, 2014).
  14. Lynch, J. & Pierrehumbert, R. Climate impacts of cultured meat and beef cattle. Front. Sustain. Food Syst. (2019).
  15. Post, M. J. et al. (2020) “Scientific, sustainability and regulatory challenges of cultured meat,” Nature Food. Springer US, 1(7), pp. 403–415.
  16. https://www.theguardian.com/science/2013/aug/05/world-first-synthetic-hamburger-mouth-feel – The Guardian Artikel von August 2013
  17. https://venturebeat.com/2017/08/23/lab-grown-meat-startup-memphis-meats-raises-17-million-from-dfj-cargill-bill-gates-richard-branson-others/ – VentureBeat Artikel von August 2017
  18. https://www.forbes.com/sites/chloesorvino/2018/01/29/exclusive-interview-tyson-invests-in-lab-grown-protein-startup-memphis-meats-joining-bill-gates-and-richard-branson/#22db4b7d3351 – Forbes Artikel von Januar 2018
  19. https://edition.cnn.com/2020/01/22/business/memphis-meats-series-b/index.html – CNN Business Artikel von Januar 2020
  20. https://www.cnbc.com/2019/10/10/future-meat-technologies-a-lab-grown-meat-start-up-raises-14-million-dollars.html – CNBC Artikel von Oktober 2019
  21. https://www.handelsblatt.com/unternehmen/handel-konsumgueter/supermeat-wiesenhof-investiert-in-fleisch-aus-dem-labor/20815518.html?ticket=ST-809109-tjlL7bILtpZlo55nsGLh-ap3 – Handelsblatt Artikel von Januar 2018
  22. https://www.mosameat.com/technology
  23. https://integriculture.jp/news/337/?locale=en
  24. https://www.cleanmeats.com.au/2020/04/05/soy-protein-scaffold-could-build-cell-based-meat/
  25. https://www.wired.co.uk/article/scaling-clean-meat-serum-just-finless-foods-mosa-meat Wired Artikel von März 2018
  26. https://www.rnd.de/wirtschaft/burger-aus-der-petrischale-wie-startups-fleisch-im-labor-wachsen-lassen-J4SIWEPYPFCXDDVMLKJSWYYVWM.html – RND Artikel von Juli 2020
  27. https://www.cnbc.com/2019/10/10/future-meat-technologies-a-lab-grown-meat-start-up-raises-14-million-dollars.html – CNBC Artikel von Oktober 2019
  28. https://www.mosameat.com/blog/2020/7/22/milestone-over-80x-reduction-in-our-medium-cost
  29. https://www.mosameat.com/technology
  30. https://www.fsis.usda.gov/wps/wcm/connect/e4749f95-e79a-4ba5-883b-394c8bdc97a3/18-01-Petition-US-Cattlement-Association020918.pdf?MOD=AJPERES – Petition der US Cattlemen’s Association an das US Department of Agriculture von 2018
  31. https://www.wired.com/story/what-is-meat-anyway/#:~:text=What’s%20clear%20is%20that%20cultured,out%20whole%20from%20an%20animal.&text=%E2%80%9CIf%20it’s%20not%20called%20meat,Josh%20Tetrick%2C%20CEO%20of%20Just – Wired Artikel von Juli 2018, frei übersetzt: „Wenn es nicht Fleisch heißt, nun ja, dann werden es weniger Menschen essen.“
  32. https://www.theguardian.com/food/2020/jan/19/cultured-meat-on-its-way-to-a-table-near-you-cultivated-cells-farming-society-ethics The Guardian Artikel von Januar 2019
  33. https://www.foodnavigator-usa.com/Article/2020/08/04/USDA-to-launch-rulemaking-and-public-comment-process-for-labeling-of-cell-cultured-meat Foodnavigator Artikel von August 2020
  34. https://www.bundestag.de/resource/blob/592836/5d0ea08045a3e9bafc92393495d754a2/WD-5-151-18-pdf-data.pdf Einzelfragen zu In-vitro-Fleisch, Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages
  35. Smetana, S. et al. (2018) “Structure design of insect-based meat analogs with high-moisture extrusion,” Journal of Food Engineering. Elsevier Ltd, 229, pp. 83–85.

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