Von normalen und nicht normalen Erdbeeren – Wie neue Technologien von Konsumenten*innen bewertet werden

Mit dem Argument «Konsumenten*innen wollen nicht» wird seit Jahren jegliche Debatte über Gentechnologie in der Landwirtschaft abgewürgt. Dabei lässt sich die Frage nach der Konsumentenakzeptanz gar nicht so klar beantworten.

Drei Erdbeeren liegen in einer Hand. Welche davon ist normal, welche nicht? Würde Gentechnik für die Bewertung eine Rolle spielen?

Drei Erdbeeren: Unterschiedliche Sorten, unterschiedliche Merkmale, unterschiedliche Gene. Wie wichtig ist es Verbraucher*innen, mit welchen Methoden diese Sorten gezüchtet wurden? (c) Foto: Robert Hoffie

In Europa wird derzeit darüber diskutiert, ob neue gentechnische Verfahren in der Pflanzenzüchtung den gleichen Vorschriften unterliegen sollten wie gentechnisch veränderte Organismen, mit strenger Sicherheitsbewertung und Kennzeichnungsvorschrift. Die Notwendigkeit einer strikten Regulierung der Gentechnologie wird oft mit der Ablehnung durch Konsumenten*innen begründet. Absolute Aussagen zur Ablehnung durch Konsumenten*innen sollte man jedoch kritisch hinterfragen. Diese beruhen häufig auf Befragungen, in denen aus sozialwissenschaftlicher Sicht ungeeignete Fragen gestellt wurden, wie zum Beispiel:

  • „Wollen Sie lieber eine normale oder eine gentechnisch-veränderte Erdbeere?“
  • „Wie gefährlich finden Sie Gentechnologie?“
  • „Der Mensch hat kein Recht, Pflanzen und Tiere gezielt gentechnisch zu verändern. Stimmen Sie zu oder nicht?“

In den Befragungen werden häufig Abwägungen von möglichen Kosten oder Risiken und persönlichen oder gesellschaftlichen Nutzen außen vorgelassen. Daraus zu schließen, dass „die Konsumenten*innen“ neue gentechnische Methoden grundsätzlich ablehnen, unabhängig von der jeweiligen Anwendung und ihrem Kontext, ist falsch. Schlimmer, es entzieht den Konsumenten*innen die Mündigkeit, komplexe Entscheidungen und Abwägungen zu gesellschaftlich relevanten Themen zu treffen.

Wie kommen wir zu spontanen Entscheidungen?

Wenn kognitive Ressourcen knapp sind, wenden viele Menschen Heuristiken an, z.B. bei begrenztem Vorwissen zu einem Thema oder wenn einer Entscheidung verhältnismäßig wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird (Finucane, Alhakami, Slovic, & Johnson, 2000; Siegrist, 2008; Siegrist & Hartmann, 2020). Heuristiken sind ressourcenschonende Faustregeln, welche die Entscheidungsfindung unter Unsicherheit vereinfachen, aber auch zu verzerrten Einschätzungen führen können. Simple Fragen zur Technologieakzeptanz werden häufig mit Hilfe der Affekt-Heuristik beantwortet. Bei der Affekt-Heuristik werden spontane Assoziationen und positive oder negative Emotionen beigezogen, um eine Entscheidung unter Unsicherheit zu treffen. Diese spontanen Assoziationen sind beispielsweise geprägt von Symbol-Bildern, die in Zeitungsartikeln zur Gentechnologie häufig zur Anwendung kommen (z.B. eine Erdbeere mit einer Spritze darin, Wissenschaftler*innen mit Laborkitteln und Schutzbrillen stehen vor giftig-leuchtendem Gemüse). Dieses und ähnliche Symbol-Bilder zeigen kein realistisches Bild aus einem Labor oder einem Versuchsfeld. Wenn Konsumenten*innen gefragt werden, ob sie eine gentechnisch veränderte Erdbeere essen würden, werden diese im Gedächtnis abgespeicherten und mit negativen Gefühlen behafteten Bilder abgerufen. Dies führt, verständlicherweise, häufig zu einer ablehnenden Haltung. Ein weiteres Beispiel ist die «Natürlich-ist-besser»-Heuristik. So wird Natürlichkeit irrtümlicherweise als Zeichen für bessere Qualität, Sicherheit oder Gesundheit genommen. Bestehende Methoden der Pflanzenzüchtung werden als natürlicher und dadurch sicherer wahrgenommen als neuere Methoden. Menschlicher Einfluss wird als grundsätzlich negativ bewertet.

Umfragen müssen der Komplexität des Thema gerecht werden

Umfragen müssen zwangsläufig vereinfachen, aber in einer demokratischen Gesellschaft ist es nur fair, wenn man den Konsumenten*innen die Chance gibt, mögliche Vorteile ebenfalls zu berücksichtigen. Umfragen zu neuen Technologien sollten der Komplexität der initial gestellten Fragen nach der Regulierung von Gentechnologie gerecht werden. Innovative Technologien werden nicht eingesetzt, weil wir es können, sondern um einen bestimmten Zweck zu erfüllen oder eine Herausforderung anzugehen. Es ist bekannt, dass Menschen bereit sind, ein kleines Maß an Unsicherheit oder Risiko zu akzeptieren, wenn sie einen relevanten Nutzen sehen (Alhakami & Slovic, 1994; Bearth & Siegrist, 2016; Slovic, Finucane, Peters, & MacGregor, 2004). Um ein konkretes Beispiel zu nennen: Wenn die Gentechnologie dazu beitragen kann, dass der Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft reduziert wird, könnte die Technologie durchaus auf Akzeptanz in der Bevölkerung stoßen.

Dies zeigte eine Studie, die in Food Quality and Preference publiziert wurde (Saleh, Bearth, & Siegrist, 2021). Den Teilnehmenden aus dem deutschsprachigen Teil der Schweiz wurde dazu ein landwirtschaftliches Dilemma präsentiert:

Kartoffeln gehören zu den am meisten geernteten Kulturpflanzen in der Schweiz. Eine der grössten Herausforderungen im Kartoffelanbau ist die Kartoffelfäule (auch bekannt als Kraut- und Knollenfäule). Dies ist eine Pilzkrankheit, welche die Blätter der Kartoffel befällt und sich sehr schnell in der Kartoffel ausbreiten und sie zerstören kann. Die Kartoffelfäule führt zu grossen Verlusten in der Kartoffelernte und gefährdet die Ernährungssicherheit.

Danach wurden die Befragten zufällig in vier Gruppen eingeteilt. Jede Gruppe erhielt danach die Beschreibung eines Lösungsansatzes, welcher die Kartoffel schützt bzw. resistent macht. Die folgenden vier Lösungsansätze wurden präsentiert (hier in gekürzter Fassung):

  • synthetische Fungizide spritzen
  • Kupfer spritzen
  • Gene einer Wildkartoffel in die kultivierte Kartoffel übertragen (Gentechnologie)
  • das Erbgut der kultivierten Kartoffel verändern (Genom-Editierung)

Zwei dieser Lösungsansätze werden momentan angewandt (synthetische Fungizide und Kupfer), während die beiden anderen beiden Lösungsansätze unter das Gentechnologie-Moratorium fallen und dementsprechend in der Schweiz nicht zugelassen sind.

Anschliessend wurden die Konsumenten gefragt, wie hoch ihre Akzeptanz des jeweiliges Lösungsansatzes ist und wie bereit sie wären eine Kartoffel zu essen, welche in der angegeben Weise produziert wurde.  Das überraschende Ergebnis war, dass die Akzeptanz der Konsument am höchsten war gegenüber der Gentechnologie.

Von dieser einen Studie auf eine breite Akzeptanz von Gentechnologie in der Bevölkerung zu schliessen, wäre sicher ebenfalls falsch. Die Ergebnisse weisen aber darauf hin, dass die Frage nach der gesellschaftlichen Akzeptanz vielschichtiger ist als dargestellt wird. Konsumentenakzeptanz kann sich passiv als fehlende aktive Ablehnung oder Proteste äussern oder aktiv als Wunsch nach Innovation in der Landwirtschaft. Die Akzeptanz wird ausserdem von einer Vielzahl an Faktoren, wie der Risiko- und Vorteilswahrnehmung, Assoziationen und Gefühlen, bestimmt. Nicht zuletzt zeigt auch die Offenheit gegenüber dem Einsatz von Gentechnologie in der Medizin (z.B. Herstellung von Insulin, Krebstherapien, Impfungen), dass wir offen sind für neue Technologien, wenn sie uns einen direkten Nutzen versprechen.

Einfache Antworten auf einfache Fragen taugen nicht als Totschlagargument

Es ist schade, wenn wir von vornherein von einer einheitlich negativen, öffentlichen Akzeptanz ausgehen und ausschließen, dass manche Konsumenten*innen neue, gut erforschte Technologien in der Landwirtschaft akzeptieren und sogar befürworten. Die Bedenken und Unsicherheiten der Bevölkerung und verschiedenen Akteuren müssen ernst genommen werden. Gleichzeitig muss aber auch über landwirtschaftliche Herausforderungen und mögliche Lösungsansätzen durch neue gentechnische Verfahren in der Pflanzenzüchtung gesprochen werden. Nur so kann ein ehrlicher Dialog zwischen Forschung, verschiedenen Akteuren und der Öffentlichkeit geführt werden. Nicht zuletzt wirft die europaweit umstrittene Deklaration von Genom-Editierung als Gentechnologie wichtige gesellschaftliche Fragen auf. Ist es sinnvoll, zwischen natürlicher Mutation, klassischer Züchtung und Gentechnologie zu unterscheiden und Pflanzen mit identischem Erbgut und denselben Eigenschaften unterschiedlich zu bewerten? Wie kann Transparenz und Rückverfolgbarkeit gesichert werden, wenn unklar ist, ob eine bestimmte Pflanze aus natürlicher Mutation, klassischer Züchtung oder Genom-Editierung entstanden ist? Im Anbetracht der vielseitigen Herausforderungen, welche die Landwirtschaft momentan und zukünftig angehen muss, wäre es falsch, ohne verlässliche Daten auszuschließen, dass die Konsumenten*innen offen sind für neue, gut erforschte Technologien. Wenn wir den Leuten einfache Fragen stellen, erhalten wir auch nur einfache Antworten.

 

Der Text wurde von zwei bereits erschienen Blog-Beiträgen von Angela Bearth bei der ETH Zürich und der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz (SCNAT) adaptiert.

 

Referenzen:

Alhakami, A. S., & Slovic, P. (1994). A Psychological Study of the Inverse Relationship Between Perceived Risk and Perceived Benefit. Risk Analysis, 14(6), 1085-1096. doi:10.1111/j.1539-6924.1994.tb00080.x

Bearth, A., & Siegrist, M. (2016). Are risk or benefit perceptions more important for public acceptance of innovative food technologies: A meta-analysis. Trends in Food Science & Technology, 49, 14-23. doi:10.1016/j.tifs.2016.01.003

Finucane, M. L., Alhakami, A., Slovic, P., & Johnson, S. M. (2000). The affect heuristic in judgments of risks and benefits. Journal of Behavioral Decision Making, 13(1), 1-17. doi:10.1002/(SICI)1099-0771(200001/03)13:1<1::AID-BDM333>3.0.CO;2-S

Saleh, R., Bearth, A., & Siegrist, M. (2021). How chemophobia affects public acceptance of pesticide use and biotechnology in agriculture. Food Quality and Preference, 91. doi:10.1016/j.foodqual.2021.104197

Siegrist, M. (2008). Factors influencing public acceptance of innovative food technologies and products. Trends in Food Science & Technology, 19(11), 603-608. doi:doi.org/10.1016/j.tifs.2008.01.017

Siegrist, M., & Hartmann, C. (2020). Consumer acceptance of novel food technologies. Nature Food, 1(6), 343-350. doi:10.1038/s43016-020-0094-x

Slovic, P., Finucane, M. L., Peters, E., & MacGregor, D. G. (2004). Risk as Analysis and Risk as Feelings: Some Thoughts about Affect, Reason, Risk, and Rationality. Risk Analysis, 24(2), 311-322. doi:10.1111/j.0272-4332.2004.00433.x

Angela Bearth

Ein Kommentar

  1. Die Landwirtschaft steht vor immer größeren Herausforderungen, von der Sicherstellung der globalen Nahrungsmittelversorgung bis zur Bewältigung der Auswirkungen des Klimawandels. In diesem Zusammenhang ist es entscheidend, nachhaltige und effiziente Lösungen zu finden. Gentechnik bietet zweifellos Potenzial, um einige dieser Herausforderungen anzugehen.
    Liebe Grüße,
    Clara

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