Durch die Aktion „Wahre Preise“ (http://wahre-preise.com/start/) von Penny, bei der Lebensmittel Preise zugeschrieben werden, die der Umweltbelastung in monetären Werten entsprechen sollen, werden neue Produkte vorübergehend teurer. Auf Twitter sind die Meinungen zu der Aktion gespalten. In diesem Debattenbeitrag wird die Methode unter die Lupe genommen und versucht diese wissenschaftlich einzuordnen.
Seit diesem Montag (31.07.2023) verlangt der Discounter Penny für neun seiner Produkte im Sortiment eine Woche lang die „wahren Preise“. Die „wahren Preise“ setzen sich aus dem regulären Preis und dem Aufschlag für die „wahren Kosten“ der Umweltbelastung zusammen. Die Mehreinnahmen möchte Penny an das hauseigene Projekt „Zukunftsbauer“ spenden.
Was versteht man unter „wahren Preisen“? Erfolg im Agrarsektor wird typischerweise mittels traditioneller ökonomischer Indikatoren, wie Preisen, Kosten und Profiten erfasst. Diese ökonomischen Indikatoren verschaffen nur eine eingeschränkte Sicht auf die Werte und Kosten, die in diesem Sektor entstehen. Mit dieser eingeschränkten Sichtweise ist es nicht möglich, Umweltkosten (z. B. Stickstoffbelastung), soziale Kosten (z. B. die Verletzung von Menschenrechten) und gesundheitliche Konsequenzen (z. B. wachsende Kosten im Gesundheitssystem durch schlechte Ernährung) adäquat in Rechnung zu stellen. Infolgedessen werden diese Kosten von den Marktteilnehmern auf die Gesellschaft abgewälzt, was zu einer Erschütterung des natürlichen, sozialen und menschlichen Kapitals und zu einem Verlust des allgemeinen Wohlstands führt. Ebenso gibt es für die Marktteilnehmer wenige Anreize, positive externe Effekte für die Gesellschaft zu schaffen (de Adelhart Toorop et al., 2021).
Die Berechnung der monetarisierten Klima- und Umweltschäden stützt sich auf die True Cost Accounting (TCA) Methode, die von Pieper et al. (2020) und Michalke et al. (2023) angewendet wurde. Die TCA Methode stellt die Effekte auf die Umwelt durch die Produktion von Lebensmitteln dar. TCA ist eine Erweiterung des traditionellen, ökonomischen Accounting Systems mit dem Ziel, externe Effekte zu identifizieren (Baker et al., 2020). Die Bewertung kann Erkenntnisse zu systemischen Fragen der Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit liefern. So sollen politische und wirtschaftliche Entscheidungsträger besser informiert werden (Baker et al., 2020). Die Aufschläge auf die bisherigen Produktpreise setzten sich aus Kosten für Klima, Wasser, Boden und Gesundheit zusammen. Zuerst wird eine Lebenszyklusanalyse (engl.: Lifecycle Analysis, kurz: LCA) des gewählten Lebensmittels durchgeführt. Dabei wird der Umwelteinfluss in Bezug auf 18 Wirkungskategorien der ReCiPe-Methode (Huijbregts et al., 2016) bestimmt. In der Methode wird zwischen konventioneller und ökologischer (EU-Bio) Landwirtschaft unterschieden. Im zweiten Schritt wird jeder Wirkungskategorie ein Kostenfaktor zugeschrieben und die einzelnen sowie aggregierten externen Kosten berechnet. Die Kostenfaktoren basieren auf dem Paper „True cost accounting of organic and conventional food production“ von Michalke et al. (2023).
Sowohl die Forschenden, als auch die REWE Gruppe, weisen darauf hin, dass die Methode sich auf den Teil der Produktion bezieht, der sich als „Cradle-to-Farmgate“ bezeichnet. Es werden nur die externen Kosten erfasst und auf den Preis aufgeschlagen, die in der landwirtschaftlichen Produktion entstehen. Dazu zählen die Autoren die externen Kosten aus Energie und Transport, Düngung, Pflanzenschutz, Gülleaustrag, Landnutzung und Landumwandlung, Wassernutzung und Kosten aus anderen Einflüssen (Michalke et al., 2023). Alle externen Umweltkosten, die nach dem Verladen entstehen, sind nicht mit eingepreist (s. u.).
Kritik wird von Seiten landwirtschaftlicher Produzenten geübt. Das Hauptargument ist, dass in den „wahren Kosten“ der Produkte, keine Landnutzungskosten enthalten sind. Auch Kosten durch Weiterverarbeitung, Logistik und Energie seitens der REWE-Gruppe werden nicht aufgeführt. Diese können beispielsweise Emissionen sein, die beim Transport von Produkten oder bei der Nutzung von Maschinen in der Weiterverarbeitung entstehen. Diese Kritik ist berechtigt. Wenn nur Kosten auf den Preis aufschlagen werden, die durch die Landwirtschaft entstehen, ist dies selektiv und greift zu kurz. Es wäre richtig, alle externen Kosten in den Preis mit aufzunehmen. Der Deutsche Bauernverband (DBV) bemängelt in einem Tweet, dass positive Effekte, die durch die landwirtschaftliche Produktion entstehen, nicht berücksichtigt werden. So können Landwirte und Landwirtinnen mit bestimmten Maßnahmen zum Erhalt der Artenvielfalt beitragen (Omer et al., 2007). Die genutzte TCA Methode zur Berechnung der Umweltschäden erfasst sowohl positive, als auch negative Effekte der produzierten Nahrungsmitteln monetär, die ansonsten nicht in den Produktionskosten berücksichtigt worden wären (Baker et al., 2020). Alternative Bewertungsansätze, wie der Carbon Opportunity Cost Ansatz von Searchinger et al. (2018) erfassen zwar CO2 Kosten der Landnutzung, können aber keine positiven Externalitäten aus Biodiversität und anderen Ökosystemdienstleistungen, also indirekte Beiträge des Ökosystems von denen Menschen profitieren, wertmäßig erfassen.
Der Vorwurf des Deutschen Bauernverband e.V., dass eine fragwürdige Methode verwendet wurde und unseriöse Berechnungen durchgeführt wurden, ist zu undifferenziert, zu allgemein und wirkt reaktionär. Eine zielgerichtete Kritik wäre sinnvoller gewesen, als die Arbeit von Forschenden zu diskreditieren. Die genutzte Methode zur Bewertung der Umweltkosten ist nicht perfekt, doch die Limitationen werden von den Forschenden benannt. So wird berichtet, dass positive Umwelteffekte durch die Nutzung von Fruchtfolge nicht mit eingepreist werden können (Michalke et al., 2023). Der dritte Teil der Kritik an Penny betrifft die Initiative, der die Mehreinnahmen durch das Projekt „Wahre Preise“ übertragen werden sollen. Diese gehen an das Penny-Projekt „Zukunftsbauer“. Das Ziel des Projekts „Zukunftsbauer“ ist laut Penny die Förderung einer nachhaltigen und energieeffizienten Weiterentwicklung von kleinbäuerlichen Familienbetrieben. Kritiker bemängeln fehlende Transparenz hinsichtlich der Auszahlungskriterien. Berechtigt für die Auszahlungen aus dem „Zukunftsbauer“-Programm sind nur Landwirte und Landwirtinnen, die zum Kooperationspartner Berchtesgadener Land Molkerei gehören.
Einige Kritikpunkte scheinen berechtigt. Gleichzeitig wirkt ein Teil der Kritik jedoch etwas überzogen. Dies gilt insbesondere für die Punkte, welche die Methodik der Forschenden als unseriös und fragwürdig bezeichnen. Die Kritik sollte hier nicht die Forschenden treffen. Die beiden Publikationen Pieper et al. (2020) und Michalke et al. (2023) entsprechen wissenschaftlichen Qualitätsstandards und wurden vor ihrer Veröffentlichung in einem Peer-Review Prozess begutachtet. Die analysierten Daten, Berechnungen, Kommentare aus dem Peer-Review und ein Reporting Summary sind jeweils öffentlich zugänglich. Des Weiteren sind die Veröffentlichungen Open Access und somit für alle Interessierten einsehbar.
Die REWE Group muss kommunikativ nachbessern. Diese hat alle Grundlagen, Berechnungen, Methoden etc. zwar transparent im Internet veröffentlicht, doch die direkte Kommunikation gegenüber dem Verbraucher kommt zu kurz. Wer sich nicht tiefer mit den Quellen und der genutzten Methode beschäftigt, kann zu dem Schluss kommen, dass die Umweltkosten allein durch die Landwirtschaft entstehen. Diese produziert jedoch auf Nachfrage der Konsumenten und trägt weiterhin nur zum Teil zum Entstehen von Umweltkosten bei.
Ich empfinde die Aktion der REWE Group trotz der Kritik grundsätzlich begrüßenswert. Zu zeigen, dass die Produktion unserer Lebensmittel Auswirkungen auf die Umwelt haben kann einen gesellschaftlichen Diskurs anstoßen. Denn Umwelteffekte sind nicht immer leicht zu erkennen. Sie werden unzureichend eingepreist, was zu einer nicht nachhaltigen und unangemessenen Nachfrage durch uns Konsumenten führen kann (Michalke et al., 2023). Wir als Konsumenten sollten uns gleichzeitig bewusst machen, dass Umwelteffekte nicht nur während der landwirtschaftlichen Produktion entstehen. Sie werden entlang der gesamten Wertschöpfungskette emittiert. Somit tragen auch weiterverarbeitende Unternehmen, Groß-, Einzelhändler und auch wir Konsumenten dazu bei, dass Umweltkosten entstehen. Diese Kosten, die über die Landwirtschaft hinausgehen, werden bei der Aktion „Wahre Preise“ wohl nicht erfasst.
Quellen:
de Adelhart Toorop, R., Yates, J., Watkins, M. et al., Methodologies for true cost accounting in the food sector. Nat Food 2, 655–663 (2021).
Baker, L., Castilleja, G., De Groot-Ruiz, A. & Jones, A. Prospects for the true cost accounting of food systems Nat Food 1, 765-767 (2020).
Gaugler, T. & Michalke, A. Tranparenzdarstellung. – kurze Version – (2023)
Huijbregts, M. A. J., Steinmann, Z. J. N., Elshout, P. M. F. et al. ReCiPe2016: a harmonised life cycle impact assessment method at midpoint and endpoint level. Int J Life Cycle Assess 22, 138-147 (2017)
Kremer-Schillings, W, Penny: „Wahre Kosten“ – Greenwashing vom Feinsten (2023) https://www.bauerwilli.com/penny-wahre-kosten-greenwashing-vom-feinsten/
Michalke, A., Köhler, S., Messmann, L., Thorenz, A., Tuma, A. & Gaugler, T. True cost accounting of organic and conventional food production, Journal of Cleaner Production 408, 137134 (2023)
Omer, A., Pascal, U. & Russel N. P. Biodiversity Conservation and Productivity in Intensive Agricultural Systems. Journal of Agricultural Economics 58, 308-329 (2007)
Pieper, M., Michalke, A. & Gaugler, T. Calculation of external climate costs for food highlights inadequate pricing of animal products. Nat Commun 11, 6117 (2020).
Searchinger, T. D., Wirsenius, S., Beringer, T., & Dumas, P. Assessing the efficiency of changes in land use for mitigating climate change. Nature 7735, 249-253 (2018)
- “Wahre Kosten” – Antworten auf die Kritik der Penny-Aktion - 21. August 2023
- “Wahre Preise” für landwirtschaftliche Erzeugnisse – Hat sich REWE verkalkuliert? - 1. August 2023
- Private Anreizprogramme in der Landwirtschaft – Ein Einblick - 30. Januar 2023
Hallo Moritz, danke für die Einordnung. Ich gehe grundsätzlich mit, wäre da nicht die die LCA-Bilanzierung für Lebensmittel unterschiedlicher Herkunft; ich meine gelesen zu haben, dass Treibhausgase auf das Gewicht bezogen werden; Nährstoffarme, wasserreiche Produkte schneiden damit immer besser ab, als Nährstoffdichte Lebensmittel? Auch die Nichtbewertung der Umweltwirkung von Pfanzenschutzmassnahmen im Ökolandbau kann ich nicht nachvollziehen; dagegen schlägt dessen Einsatz im konv. Ackerbau mit weit über 50 Cent negativ zu Buche und zwar für alle Produkte, ohne Berücksichtigung von Betriebslage, Fruchtfolge und Befalldruck. Dabei ist jeder Betrieb ein Unikat. Eine Kategorisierung auf Basis generischer Datenbanken „bestraft“ die guten und „belohnt“ die schlecht geführten Betriebe. Der Ansatz ist also ziemlich weit weg von der ldw. Unternehmenspraxis. Zur Sensibilisierung reicht der Ansatz aber allemal. Besser aber wäre eine nachhaltige Lebensmittelkennzeichnung anhand empirischer Daten und daran wird derzeit vor dem Hintergrund der Anforderungen des Green-Deals intensiv gearbeitet. Blöd finde ich, dass zeitgleich der Butter- und Milchpulverpreis von Seiten der Discounter gedrückt wurde. Wenn Landwirte nicht kostendeckende Erlöse erzielen, kann man sich solche Aktionen eigentlich sparen; sie wird unglaubwürdig
Hallo Ina,
Danke für deinen Kommentar. Tut mir leid, dass jetzt erst darauf antworte, ich habe die Email gestern nicht gesehen, da ich mit einem anderen Konto hier verknüpft bin.
Zu meinem Artikel: Ich erhebe hier nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Ich habe den Beitrag von Peter Breunig an meinen Tweet angehängt, damit Leser auch seine Sicht auf die Situation lesen können. Es gibt einige Punkte, auf die ich im Nachgang wohl noch hätte in den Artikel mit aufnehmen können. Grundsätzlich basiert die Methode auf einem Modell. Modelle bilden immer nur eine reduzierte Form der Wirklichkeit ab. Das führt dazu, dass einige Betriebe besser gestellt werden, andere wiederum schlechter als sie im echten Leben sind. Ein weiterer Punkt den ich im Artikel (noch) nicht berücksichtigt habe ist dein Punkt, dass Discounter wie Penny dafür bekannt sind Preise zu drücken. Hier hätte ich auch einen Fokus drauf legen sollen. Es ist kein faires Verhalten von Penny für eine Woche 1) nur externe Kosten aufzuführen, die in der Landwirtschaft entstehen (es entstehen Externe Kosten auch auf anderen Stufen der Lieferkette), 2) diese nur an eine bestimmte Gruppe an weiterzuleiten, 3) dafür die Verbraucher zahlen zu lassen, obwohl der Preisdruck wahrscheinlich keinen geringen Einfluss darauf haben, wie Landwirte und Landwirtinnen Landwirtschaft betreiben.
Trotz allem bin ich davon überzeugt, dass auch in der Landwirtschaft noch verbesserungspotential gibt um Nachhaltiger zu wirtschaften.
Ich bedanke mich für deine konstruktive Kritik an meinem Beitrag. Vielleicht kommt in Zukunft noch ein neuer Artikel der zu diesem Thema berichtet.
Liebe Grüsse,
Moritz
Lieber Moritz, schade, dass Du meinen Kommentar nicht veröffentlichst, zumal die „wahren Kosten“ der ökologischen Varianten bei 19 von 21 Lebensmitteln über denen der konventionellen Produkte liegen.
Mit anderen Worten: werden alle externen Umwelt- und Klimakosten mit berücksichtigt, sind die meisten konventionellen Lebensmittel günstiger als die ökologischen. (Prof. Breunig: https://twitter.com/peter_breunig/status/1686693263426695170?s=20). Er glaubt, dass die Klimawirkung des höhere Flächenbedarf des Ökolandbaus nicht voll berücksichtigt worden sein könnte.