Stories from the Microbial World

Sie sind mikroskopisch klein, die chemischen Allrounder der Natur und sie sind überall – Mikroorganismen! Die wunderbare exotische Welt von Algen, Pilzen, Bakterien, Archaeen und Protisten, die erst unter einer Lupe sichtbar wird. Auch wenn wir sie mit bloßem Auge nicht erblicken können, Mikroorganismen regieren insgeheim unsere Welt. Sie erfüllen nahezu alle wichtigen Jobs in dieser bunten Gesellschaft des Lebens. Sie bauen die Abbauprodukte und Überbleibsel anderer Organismen zu wertvollen Rohstoffen um und sind damit das wichtigste Abfall-Management und Recyclingunternehmen dieses Planeten. Upcycling ist also für Mikroben nicht nur ein hipper Trend in Kreuzberg.  Es ist die Basis des Lebens, wie wir es kennen und gleichzeitig eine große Chance für die Zukunft: Aus Nitrat, Phosphat, CO₂  und anderen langweiligen Dingen werden Proteine, Fette, Antibiotika, Farbstoffe und alles andere, was das Leben erst so richtig spannend macht. 

© Anna Vanessa Kaiser

Mikroben sind außerdem das größte Dienstleistungsunternehmen der Evolution: Wer zum Beispiel diese verdammt hartnäckige Nahrung allein nicht zerkleinert bekommt, stellt eben einfach die passende Mikrobe ein. In den Mägen von Wiederkäuern leben Bakterien, die Zellulose zu Stärke abbauen und so für die Tiere nutzbar machen. Und auch in unseren Därmen leben zahlreiche unterschiedliche Bakterien. Dabei ist die Bedeutung dieses sogenannten Mikrobioms auf unsere Gesundheit längst noch nicht verstanden. Manche Mikroben leben sogar in den Zellen von Tieren und Pflanzen und arbeiten so noch enger mit ihnen zusammen: Energieerzeugung regeln Pflanzen, Menschen und andere Tiere in ihren Zellen selbst? Pustekuchen! Dazu haben sie vor Millionen von Jahren Bakterien verpflichtet, deren Nachkommen man heute Mitochondrien nennt und deren Genom auch heute noch zu einem Großteil bakteriell ist1. Photosynthese, also die Erzeugung von Zucker aus CO2, Licht und Wasser, haben nicht etwa die Pflanzen selbst auf die (Elektronentransport)Kette bekommen, sondern sich für diese vakante Stelle vor Urzeiten Cyanobakterien einverleibt. Diese haben in Wahrheit die Photosynthese „erfunden“ und leben heute als sogenannte Chloroplasten in den Zellen einer jeden Pflanze2. Pflanzen wie Soja erzeugen ihren eigenen Dünger dank winziger, mikrobieller Stickstoffsammler in ihren Wurzeln. Die Bezahlung erfolgt prompt durch Kost und Logie.

Natürlich gibt es in einer vielfältigen Welt nicht bloß die guten und praktischen Mikroben. Unter der groben Kategorie Mikroorganismus finden sich auch die bekannten und fiesen Krankheitserreger, die einem das Leben schwer machen. Auch um diese wird es in dieser Reihe von Beiträgen gehen.

Menschen nutzen Mikroorganismen und ihre unterschiedlichen Fähigkeiten unbewusst bereits seit vielen Jahrhunderten für die Herstellung von Produkten und deren Haltbarmachung: Von Bier und Wein über Sauerkraut, Käse und Joghurt bis hin zu Tofu und Sojasauce. Fermentierte Lebensmittel sind auf der ganzen Welt weit verbreitet3.

Seitdem man weiß, dass hier Mikroorganismen am Werk sind, geht man gezielter vor und lässt sie Aromen, Farbstoffe oder Spinnenseide4 produzieren. Auch Vitamin C, Insulin, Antibiotika5 und Krebsmedikamente werden von Bakterien produziert und stammen damit aus den Versuchslaboren der mikroskopischen Welt. With a little help from our little friends wird das alles und noch viel mehr erst möglich gemacht.

© Anna Vanessa Kaiser

Mikroorganismen sind  einer der wichtigsten Bausteine der Bioökonomie. Die Zukunft stellt uns vor eine Menge Fragen: Wie halten wir einen hohen Lebensstandard, trotz Klimawandel und Umweltprobleme? Wie schaffen wir es knappe Ressourcen zu ersetzen? Wie finden wir einen Weg, um das Erdöl, dass das Herz unserer Wirtschaft antreibt, auszutauschen? Viele dieser Antworten liegen wohl in Form von Mikroorganismen auf den Objektträgern unter tausenden Mikroskopen weltweit und in den Köpfen von Wissenschaftler*innen, die dabei sind, deren Geheimnisse zu entschlüsseln. Mikroben sind uns schlicht Milliarden Jahre Evolution voraus und haben viele dieser Fragen schon für uns beantwortet. Wertlose Abfälle werden auf einmal zu wichtigen Rohstoffen, Materialien, einem Schuh… Mikroben können uns dabei helfen, Umweltprobleme zu lösen, indem sie mineralische Rohstoffe aus Abwässern zurückgewinnen, CO2 in Biomasse binden oder Pflanzen vor Erkrankungen schützen. Gleichzeitig eröffnen moderne Biotechnologie und synthetische Biologie ganz neue Wege über die bereits bestehenden, „natürlichen“, Perspektiven hinaus. Die Grenze setzt uns hier nur die Biochemie und unsere Kreativität. Die Zelle wird zur Innovationseinheit der Zukunft und damit vielleicht auch zum wichtigsten Nutzvieh der Landwirtschaft. “Fermenting for Future” sozusagen!

Auch die Zukunft von Landwirtschaft und Lebensmittelherstellung wird definitiv eines bleiben: Zum großen Teil mikrobiologisch. Wir benötigen neue Lösungen für Antibiotikaresistenzen, die Mensch, Pflanze und Tier gefährden. Cyanobakterien wie Spirulina liefern hochwertiges Protein von der Fensterbank oder werden zu flüssigem Dünger, Treibstoff oder Nahrung für Mensch und Tier. Auch Einzeller-Protein aus Hefen und Pilzen ringt auf dem Markt mit Fleisch um die Vorherrschaft.

Die (graue6 und weiße7) Biotechnologie und die Landwirtschaft werden dabei eine noch engere Partnerschaft eingehen, davon sind wir überzeugt. Die Mikroben liefern Dienstleistungen, die sonst nur mit einem großen Energieaufwand möglich waren. Mikrobielle Produktion kann in Städten und Wüsten stattfinden und die Nutzung wertvoller Böden für den Anbau von Nutzpflanzen verringern, indem sie tierische Produkte ersetzt, neue Lebensmittel erschafft und unseren Bedarf nach Vitaminen, Medikamenten und Zusatzstoffen deckt. Land wird frei für eine wachsende Welt und hoffentlich wieder mehr Wildnis, denn Mikroben brauchen eben keine besonderen Böden zum Wachsen. Ihre Produktion könnte zum neuen Urban Farming werden, das Abgase8 , Licht und unsere Abfälle direkt vor Ort umwandelt. Mircobial Upcycling, der Traum einer nachhaltigeren Zukunft. Die Landwirtschaft profitiert im Gegenzug von den kleinen Helferlein durch neue Düngemittel und Schutzmittel, die zuvor nur Erdöl liefern konnte und wird selbst zum Motor einer nachhaltigen Bioökonomie: Während sie einerseits auch weiterhin Milliarden Mägen füllt, liefert sie mit ihren Restprodukten die Biomasse, die für viele mikrobielle Prozesse als Grundlage dienen kann. So kann eine echte Kreislaufwirtschaft entstehen. Lasst uns also gemeinsam träumen von dieser besseren microbial world.

© Anna Vanessa Kaiser

Deshalb wollen wir im Wissenschaftsjahr der Bioökonomie9 mit dieser Serie von Beiträgen ein ganz besonderes Augenmerk auf diese kleinen Helferlein und auch Schurken unserer mikroskopischen Welt legen! Dabei gehen wir auf eine Reise, um zu erkunden, was Mikroorganismen bereits für die Landwirtschaft und Ernährung der Welt leisten  – und was sie noch alles leisten könnten. Und wieso es für uns Menschen so entscheidend ist, mit ihnen zusammenzuarbeiten und sie noch besser zu verstehen, während wir die Herausforderungen der Zukunft bewältigen. Und vor allem freuen wir uns darauf, mit euch über all das zu diskutieren!

Martin Reich
Christian Kaiser

Einzelnachweise

  1. https://www.youtube.com/watch?v=9LTMDLDsL98
  2. https://progressive-agrarwende.org/die-angst-vor-veraenderung/
  3. https://www.mri.bund.de/fileadmin/MRI/Verbrauchermedien/MRI-Booklet_IGW18-Fermentierte-Lebensmittel.pdf
  4. https://www.handelsblatt.com/unternehmen/mittelstand/amsilk-deutsches-start-up-praesentiert-armband-aus-kuenstlicher-spinnenseide/23894280.html?
  5. https://biooekonomie.de/den-guten-bakterien-auf-der-spur
  6. https://de.wikipedia.org/wiki/Umweltbiotechnologie
  7. https://de.wikipedia.org/wiki/Industrielle_Biotechnologie
  8. https://www.euractiv.de/section/landwirtschaft-und-ernahrung/news/bakterien-gegen-industrieabgase/
  9. https://www.wissenschaftsjahr.de/2020/

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