Nachdem im Dezember unser CRISPR-Adventskalender zu unserer großen Freude viel Aufmerksamkeit bekommen hat, fing auch das Jahr 2020 für uns bei Progressive Agrarwende erfreulich turbulent an! Wir haben einen Impulsvortrag zum Thema Laborfleisch gegeben, einen Algenworkshop durchgeführt und sogar erstmals eine eigene Session bei einer großen Konferenz mitgestaltet. Hier wollen wir diese Aktivitäten für euch kurz zusammenfassen, damit ihr seht: Progressive Agrarwende gibt es nicht nur im Internet sondern auch im Real Life!
Impuls zu In-Vitro-Fleisch
Am 15. Januar fand mitten in Berlin, im wunderbaren Futurium, eine gemeinsame Veranstaltung von Merck, Mosa Meat und Genius1 zu einem der spannendsten Zukunftsthemen überhaupt statt: Laborfleisch. Oder in-vitro-Fleisch. Oder Clean Meat? Jedenfalls Fleisch, für das keine Tiere mehr geschlachtet werden, weil es außerhalb eines Körpers wächst, aus Stammzellen in einem Nährmedium. „Total unnatürlich!“ ist eine der wohl häufigsten Reaktionen auf dieses Konzept. Aber was ist das überhaupt, natürlich? Warum ist das für uns ein so wichtiger Begriff und wo kommen unsere Assoziationen mit ihm eigentlich her? Das hat sich Johannes gefragt und in seinem kurzem Impulsvortrag nimmt er die Anwesenden mit auf seine Suche. Was steht dazu auf Wikipedia, was in der Bibel? Welche Persönlichkeiten und Denkschulen haben den Begriff „natürlich“ geprägt und warum finden wir ihn heute auf jeder Käse-Verpackung und Haarspülung? Und warum ist er für so viele Menschen so wichtig und eine „Rückkehr zur Natur“ so erstrebenswert, während wir uns auf der anderen Seite täglich an total unnatürlichen Dingen wie Handys, Medizin und Menschenrechten erfreuen? Sollten wir dieses Paradoxe Verhältnis zur Natürlichkeit nicht endlich grundlegend hinterfragen und wird uns das nicht sogar dabei helfen, endlich wirklich nachhaltig mit unserer Umwelt zusammenzuleben? Viele dieser Gedanken hat Johannes auch schon in seinen Eingangstexten auf diesem Blog beschrieben und auch David hat sich mit der „Angst vor Veränderung“, dem scheinbaren Gegensatz von natürlich, auseinandergesetzt. Auf den Input von Johannes und die anderen Vorträge folgt eine angeregte Diskussion darüber, ob Laborfleisch unnatürlich ist oder nicht und ob das überhaupt eine Rolle spielt. Anwesend sind neben Pionieren der Entwicklung und baldigen Vermarktung von Laborfleisch auch Tierschützer*innen. Das Thema wird uns auch hier bei Progressive Agrarwende sicher noch weiterhin beschäftigen.
Biotech-Session bei Farm and Food 4.0
Bei der großen Konferenz Farm and Food 4.02 am 20. Januar, organisiert von Matthias Lech und seinem Team, durfte Progressive Agrarwende als eine offizielle Partnerin3 an der Vorbereitung einer Podiumsdiskussion mit einem anschließenden Round-Table maßgeblich mitarbeiten. Im Fokus stand die Frage: „Biotech: Wollen wir was wir können?“. Wichtig war uns dabei, den unterschiedlichen Perspektiven auf das Thema Raum zu geben und diese anschließend zur Diskussion zu stellen. Peter Breunig war nicht nur maßgeblich in die Organisation involviert, sondern stellte auch gleich noch sein Talent als Moderator unter Beweis. Unter anderem nahm Julia Diekämper vom Museum für Naturkunde am Podium teil und berichtete über Intention und Ergebnisse des Projektes „ErbUndGut Supermarkt“4. In einem fiktiven Supermarkt konnten sich Besucher*innen anhand von konkreten Beispielen über unterschiedliche Methoden der Züchtung und deren Regulierung informieren. Eine Umfrage brachte interessante Ergebnisse, zum Beispiel dass die Befragten mehrheitlich Gentechnik im Allgemeinen zwar ablehnten, die Ablehnung aber abnahm, wenn nach konkreten Verbesserungen gefragt wurde.
Dominik Modrzejewski und Martin Reich, also ich, waren auch mit dabei und wir fanden vor allem auch die anschließende Diskussion über die Konsequenzen der momentanen Gentechnik-Regulierung für den internationalen Handel sehr aufschlussreich. Neben Mitarbeiter*innen von KWS nahmen an der regen Diskussion u. a. auch junge Landwirt*innen und Ökobauern teil. Auch wenn die Ansichten zu Chancen und Risiken von Genome Editing in der Pflanzenzüchtung unterschiedlich sind, verbindet doch alle die Frage: Wie geht es nun weiter? Was wird es für den Lebensmittelhandel (vor allem für jenen mit Bioprodukten) heißen, wenn jederzeit im Ausland mit CRISPR gezüchtete Pflanzen unbemerkt nach Europa kommen können? Wird die Politik Maßnahmen finden, Züchtungen mit CRISPR im internationalen Handel mit Lebensmitteln durch Zertifizierung o.ä. nachverfolgbar zu machen? Oder wird sie sich auf den wissenschaftlichen Konsens stützen und Züchtungen, bei denen keine artfremde DNA eingebracht wird, aus der Gentechnikregulierung ausnehmen, so wie es bereits in vielen anderen Ländern getan wurde? Und wann werden endlich Maßnahmen in die ein oder andere Richtung eingeleitet? Schließlich könnten wir theoretisch bereits jetzt, sicherlich aber in einigen Jahren, mit CRISPR gezüchtete Produkte bei uns haben, ohne es zu merken. Immerhin ist die EU-Kommission inzwischen aktiv geworden (auf Wunsch des EU-Rates hin) und hat eine Untersuchung in Auftrag gegeben, wie genom-editierte Pflanzen reguliert werden könnten5. Bis zum 30. April 2021 soll diese Untersuchung abgeschlossen sein, es heißt also erneut abwarten und viele weitere, hoffentlich konstruktive, Debatten über das Thema führen. Über alle vermeintlichen Gräben hinweg und mit Blick nach vorn.
Algenworkshop auf der Grünen Woche
Auf der Grünen Woche stand dann am 21. und 22. Januar die Kommunikation mit Bürgerinnen und Bürgern im Fokus: Johannes durfte auf dem Stand des Wissenschaftsjahrs Bioökonomie vom BMBF vorführen, wie man zu Hause ganz einfach seine eigenen Algen züchten kann. Auch, wenn einzelne Nährstoffe abzuwiegen etwas Fleißarbeit bedeutet, kam doch spätestens bei der grünen, blubbernden, mit LEDs beleuchteten Flüssigkeit bei allen zukünftigen Algenzüchter*innen Begeisterung auf. Alles was man für hauseigene Produktion von grüner Algenpampe braucht, hat Johannes ja schon in einem seiner Beiträge beschrieben. Sogar die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Anja Karliczek, stattete dem Workshop einen Besuch ab, interessierte sich sehr für die Algenzucht und löcherte Johannes mit zahlreichen Algen-Fragen.6. Auf der Grünen Woche waren in diesem Jahr überhaupt auffällig viele Algen vertreten. Auf dem Stand des Wissenschaftsjahrs blubberte ein meditativer Algenreaktor und in einer der Hallen nebenan präsentierten Kirstin Knufmann und Jörg Ullmann (aka Algenkönigin und Algenpapst) ihre inzwischen zahlreichen Produkte mit und aus Algen. Jörg Ullmann kam sogar zum Algenworkshop (siehe Foto), sodass sich DIY-Algenzüchter Johannes und Algenprofi Jörg austauschen konnten. Ich habe mich so lange in der Food-Halle herumgetrieben und Insekten gefuttert, was sonst…
Ausblick
Das Jahr ging für uns also unterhaltsam los und auch für den Rest des Jahres haben wir viele Aktivitäten geplant und einige stehen auch schon fest. Zum Beispiel wird Natalie Laibach für Progressive Agrarwende am 5. März einen Input beim „SALON Global Agriculture: Impulse für die pflanzenbasierte Bioökonomie – Fokus Photosynthese“7 geben. Wir freuen uns sehr über die wachsende Aufmerksamkeit für unser Engagement für eine konstruktive Debatte über Landwirtschaft, Ernährung und Bioökonomie insgesamt.
- PAW on Tour: Besuch und Tasting bei Formo - 26. April 2023
- PAW on Tour: Landwirtschaft und Biodiversität - 4. Januar 2023
- (Wie) Passen Bioreaktoren in die Landwirtschaft? - 12. Oktober 2022
Einzelnachweise
- https://www.genius.de/news/merckmahl-clean-meat-%E2%80%93-fleisch-essen-mit-gutem-gewissen
- https://www.farm-and-food.com/
- https://www.farm-and-food.com/sponsor/progressive_agrarwende/
- https://www.museumfuernaturkunde.berlin/de/museum/veranstaltungen/genomeditierung-im-museum-ergebnisse-des-supermarkts-erbundgut
- https://biooekonomie.de/nachrichten/genome-editing-eu-rat-laesst-richtlinie-pruefen
- https://www.youtube.com/watch?v=ylwjya5-KQU
- https://www.eventbrite.de/e/salon-global-agriculture-impulse-fur-die-pflanzenbasierte-biookonomie-fokus-photosynthese-tickets-90126415535
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