Farming for Future – tun wir das Richtige für den Klimaschutz?

Bereits 2005 wurden die Sektoren Industrie, Energie und EU-Luftverkehr in ein EU Emissionshandelssystem (ETS) integriert, innerhalb dessen die Klimagasemissionen bis 2030 um 43% sinken werden. Am 20. September hat sich das Klimakabinett der Bundesregierung auf ein Eckpunktepapier für das Klimaschutzprogramm 2030 geeinigt, das sich auf die übrigen Sektoren Verkehr, Gebäude, Kleinindustrie, Landwirtschaft und Abfall (sog.  Non-ETS-Bereich) bezieht. In diesen Sektoren beabsichtigt der Beschluss eine Emissionssenkung von 38% gegenüber 2005 [1]. Nach Veröffentlichung der Maßnahmen gab es eine rege Diskussion darüber, ob die Vorschläge zielgerichtet und ausreichend sind. Um im Bereich Landwirtschaft und Ernährung etwas Licht ins Dunkel zu bringen, will ich in diesem Beitrag folgende Fragen beantworten: Welche Bedeutung haben Landwirtschaft und Ernährung für den Klimawandel? Was schlägt der Weltklimarat vor, um Emissionen in diesem Bereich zu reduzieren/binden? Wie sind die Vorschläge der Bundesregierung im Bereich Landwirtschaft und Ernährung zu bewerten?

Welche Bedeutung hat Landwirtschaft und Ernährung für den Klimawandel?

Nach Aussagen der Bundesregierung, ist der Bereich Landwirtschaft in Deutschland für 64 Mio. Tonnen CO2-Äquivalente pro Jahr, d.h. ca. 7% aller Emissionen verantwortlich [2]. Da stellt sich die Frage, warum man sich bei einer so niedrigen Zahl überhaupt mit Landwirtschaft und Klimaschutz auseinandersetzen sollte. Diese Zahl von 7% ist jedoch trügerisch: sie beinhaltet nur die direkten Emissionen der sogenannten „Quellgruppe 4“ (Landwirtschaft) gemäß der internationalen Emissionsberichterstattung. Diese Berechnung betrachtet nur die Emissionen, die direkt aus der landwirtschaftlichen Tätigkeit innerhalb des deutschen Staatsgebiets entstehen. Importe und Exporte sowie Emissionen aus Vorleistungen oder Weiterverarbeitung landwirtschaftlicher Rohstoffe werden hier nicht berücksichtigt. Daher bestehen diese 7% nur aus folgenden Emissionsbereichen (nach Anteil absteigend angeordnet): Lachgasemissionen aus dem Boden (durch Düngung, Austräge und Bodenprozesse), Methanemissionen von Wiederkäuern (insbesondere Rinder) sowie Methan- und Lachgasemissionen aus der Lagerung von Gülle und Mist [3]. Wenn wir verstehen wollen, wie wir Emissionen im Bereich Landwirtschaft und Ernährung insgesamt reduzieren können, ist diese Betrachtung natürlich nicht ausreichend. Studien, die alle Emissionen des Ernährungsbereichs, d.h. die landwirtschaftliche Produktion inklusive aller Importe und Exporte sowie Vorleistungen und Verarbeitung betrachten, kommen auf ca. 14-22% aller Treibhausgasemissionen in Deutschland [4]. D.h. betrachtet man die gesamte Wertschöpfungskette, steigt die Bedeutung des Agrar- und Ernährungssektors deutlich an. Einen zusätzlichen Aspekt bringt eine Studie aus Nature [5] mit ein, die im Dezember letzten Jahres veröffentlicht wurde. Dort wurden erstmals sogenannte CO2-Opportunitätskosten in die Bewertung mit aufgenommen. Wird eine Fläche landwirtschaftlich genutzt, kann diese Fläche nicht mehr von natürlicher Vegetation wie etwa Wald bewachsen sein. Die natürliche Vegetation kann aber oberirdisch und im Boden immer mehr CO2 speichern, als bei einer landwirtschaftlichen Nutzung der Fläche. Diese entgangene Speicherleitung wird in der Studie der landwirtschaftlichen Nutzung als sogenannte CO2-Opportunitätskosten zugerechnet. D.h. dadurch, dass die landwirtschaftliche Nutzung eine höhere Speicherung verhindert, muss dies angerechnet werden, um sinnvolle Entscheidungen zu treffen. Lässt man die CO2-Opportunitätskosten weg, unterschätzt man die Folgen der Flächennutzung für das Klima und trifft folglich suboptimale Entscheidungen. Was kommt bei dieser Betrachtung heraus? Bei der Einbeziehung der CO2-Opprtunitätskosten erhöht sich die Bedeutung der Ernährung und der gesamten Wertschöpfungskette auf ca. 50% aller Klimagasemissionen eines durchschnittlichen europäischen Menschen. D.h. der Einfluss von Landwirtschaft und Ernährung ist in etwa so hoch wie alle anderen Emissionen zusammen und jede Änderung entlang der Wertschöpfungskette hat einen enormen Einfluss! Es gibt also allen Grund, sich damit auseinanderzusetzen.
Aber Landwirtschaft und Ernährung sind nicht nur ein wesentlicher Teil des Problems, sondern auch ein Teil der Lösung. Zwar kann Ackerland weniger CO2 speichern als die natürliche Vegetation, aber der Kohlenstoffgehalt des Bodens kann durch Anbautechniken beeinflusst werden: reduzierte Bodenbearbeitung (insbesondere Verzicht auf den Pflug), Zwischenfruchtanbau, veränderte Fruchtfolgen, das Einarbeiten von Holzkohle  und andere Techniken können den Kohlenstoffgehalt im Ackerboden deutlich erhöhen. Das Startup „Indigo Agriculture“ will dieses Potential erschließen und hat berechnet, dass ein Anstieg des Kohlenstoffgehalts der weltweiten Ackerfläche (ca. 1,4 Mrd. ha) um 2%-Punkte, eine Billionen Tonnen CO2 aus der Atmosphäre binden könnte. Durch diese Maßnahme allein, würde der CO2-Gehalt der Atmosphäre wieder auf das Niveau vor der Industrialisierung zurück gehen [6]. Die Umsetzung auf einer globalen Ebene ist sicherlich herausfordernd und es bestehen noch etliche Unsicherheiten, aber das Potential unter unseren Füßen ist enorm.

Was schlägt der Weltklimarat vor, um Emissionen in diesem Bereich zu reduzieren/binden?

Im August dieses Jahrs hat der Weltklimarat IPCC einen Sonderbericht zum Thema Klimawandel und Landnutzung [7] veröffentlicht. Darin werden u.a. Maßnahmen zur Reduktion des Klimagasausstoßes und zur Bindung von CO2 aus der Atmosphäre vorgeschlagen. Folgende Maßnahmen bewertet der Report als Antwortoptionen mit großem Einfluss (>3 Mrd. t CO2-Äquvivalente pro Jahr) auf die Abschwächung des Klimawandels im Bereich Landwirtschaft und Ernährung (die reine Forstwirtschaft und andere Ökosysteme habe ich hier nicht betrachtet):

„Increased Food Productivity“: Mehr Output an Lebensmitteln pro Input wie Land oder Wasser. D.h. mehr Lebensmittelproduktion bei gleichem oder geringerem Ressourcenverbrauch.
Die Umwandlung von Flächen mit natürlicher Vegetation in Weide- oder Ackerland verursacht enorme Klimagasemissionen. Ziel muss es daher sein, mit möglichst wenig Input und hohen Umweltleistungen möglichst viel Lebensmittel auf der bestehenden landwirtschaftlich genutzten Fläche und mit dem zur Verfügung stehenden Wasser zu erzeugen.

„Agro-Forestry“: Agroforstwirtschaft, d.h. die Kombination aus Ackerbau oder Weidewirtschaft mit mehrjährigen Bäumen in einem System.
Bäume, die viele Jahre genutzt werden, entziehen der Atmosphäre Kohlenstoff und speichern es in der Biomasse. Neben der CO2-Bindung bieten diese Systeme auch viele Synergien und können zu höheren Erträgen, mehr Biodiversität, weniger Erosion etc. führen.

„Increased soil organic carbon content“: Erhöhung des Humusgehalts im Boden, um Kohlenstoff aus der Atmosphäre langfristig zu binden.

„Reduced post harvest losses“ und „Reduced food waste“: Weniger Nachernteverluste und geringere Lebensmittelverschwendung.
Aktuell gehen weltweit etwa ein Viertel aller erzeugten Kalorien durch Verluste oder Verschwendung verloren [8]. Da die Erzeugung von Lebensmitteln immer mit Klimagasemissionen verbunden ist, führt eine Reduzierung der Verluste und Verschwendung entlang der Wertschöpfungskette immer auch zu einer Reduktion der Emissionen.

„Dietary change“: Änderung der Ernährungsgewohnheiten.
Zwischen einzelnen Lebensmitteln aber auch deren Produktionsweisen gibt es enorme Unterschiede in Bezug auf Klimagasemissionen. Eine in „Science“ veröffentliche Metastudie [9] aus dem Jahr 2018 hat die Treibhausgasemissionen von 570 anderen Studien zu diesem Thema analysiert und zusammengefasst. Insgesamt greift diese Metastudie auf Daten von ca. 38.700 landwirtschaftlichen Betrieben in 119 Ländern zurück. Das Ergebnis zeigt zum einen deutliche Unterschiede zwischen verschiedenen Produktionsweisen des selben Lebensmittels: so liegen bei Rindfleisch die Produzenten mit den niedrigsten Emissionen und die Produzenten mit den höchsten Emissionen um das 12-fache auseinander (bezogen auf kg CO2 Äquivalente pro 100 g Protein). Aber auch zwischen den Lebensmitteln variieren die Emissionen deutlich: die klimafreundlichsten Rindfleischproduzenten in der Studie erzeugen immer noch fast das Vierfache an Klimagasen pro 100 g Protein im Vergleich zu den besten Geflügelfleischproduzenten, und diese wiederum ca. 3-mal so viel Emissionen pro 100 g Protein wie die besten Tofuproduzenten. Pflanzliche Produkte weisen in der Studie über alle Lebensmittelbereiche und Vergleichsgrößen (bezogen auf Protein oder kcal) hinweg niedrigere Emissionen auf als tierische Produkte. Der Mitschnitt eines spannenden Vortrags mit weiteren Details zu den Ergebnissen ist hier verfügbar: https://www.youtube.com/watch?v=8miQs3mPGu8

Wie sind die Vorschläge der Bundesregierung im Bereich Landwirtschaft und Ernährung zu bewerten?

Im vom Klimakabinett verabschiedeten Eckpunktepapier gibt es neun Punkte, die die Emissionen aus dem Bereich Landwirtschaft und Ernährung adressieren sollen (2 Punkte bzgl. Moore und Forst habe ich hier nicht aufgeführt):

  • Senkung der Stickstoffüberschüsse
  • Energetische Nutzung von Wirtschaftsdüngern
  • Ausbau des Ökolandbaus
  • Emissionsminderungen in der Tierhaltung
  • Erhöhung der Energieeffizienz in Landwirtschaft und Gartenbau
  • Humuserhalt und Humusaufbau im Ackerland
  • Erhalt von Dauergrünland
  • Vermeidung von Lebensmittelabfällen
  • Gemeinsame Agrarpolitik (Ausweitung der Fördermöglichkeiten für klimafreundliche Maßnahmen im Rahmen der GAP)

Grundsätzlich scheinen viele dieser Vorschläge die relevanten Themen anzugehen. Jedoch fallen drei Bereiche auf, wo es Differenzen zwischen den Plänen und dem Handeln der Bundesregierung und dem breiten wissenschaftlichen Konsens des IPCC zu geben scheint:

1) Ökolandbau: Der Ausbau des Ökolandbaus bietet viele Vorteile im Bereich Biodiversität, Gewässerschutz und Tierwohl, eine deutliche Ausdehnung widerspricht aber der IPCC-Forderung von „increased food productivity“, da die Erträge bisher im Ökolandbau deutlich niedriger liegen als bei konventionellen Vergleichsbetrieben.
Auch eine umfangreiche Metastudie [10] zu den Vorteilen des Ökolandbaus vom Thünen Institut kommt zu folgender Erkenntnis (S. 186): „Der Ökolandbau erbringt bezüglich ertragsskalierter THG‐Emissionen im Bereich Boden/Pflanze wahrscheinlich vergleichbare Leistungen wie der konventionelle Landbau.“
Die bereits erwähnte Nature-Studie [11], die zusätzlich CO2-Opportunitätskosten mit einbezieht, kommt sogar zu dem Ergebnis, dass Ökolandbau auf Grund des höheren Flächenbedarfs für die gleiche Produktionsmenge schlechter bezüglich Klimaschutz abschneidet, als der konventionelle Anbau. Diese Ergebnisse stellen die Bedeutung des Ökolandbaus nicht grundsätzlich in Frage, sondern zeigen eher, wie wichtig verantwortungsvolle Ertragssteigerung auch im Ökolandbau ist, insbesondere aus Sicht des Klimaschutzes. Daher sollten Fragen zum Einsatz ertragssteigernder Technologien im Ökolandbau, insbesondere „Genome Editing“ in der Pflanzenzüchtung, stärker noch mit Hinblick auf den Klimaschutz diskutiert werden.

2) Humusaufbau: Der Bericht des Weltklimarats hat „konservierende Bodenbearbeitung“, d.h. den Verzicht auf den Pflug bis hin zur sogenannten „Direktsaat“ (keinerlei Bodenbearbeitung) als eine der wichtigen Anbausysteme beschrieben, um Kohlenstoff im Boden zu binden, Energie einzusparen und Erträge abzusichern [12]. Auch Prof. Dr. Rockström vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung bezeichnet den Verzicht auf den Pflug als eine der wichtigsten Maßnahmen der Landwirtschaft zum Klimaschutz [13]. Wenn der Pflug nicht mehr den Boden wendet, wird bisher in den meisten Fällen vor der Aussaat Glyphosat ausgebracht, um den alten Bewuchs zu entfernen und den neuen Pflanzen Raum zum Wachsen zu geben. Nachhaltige und dauerhafte Direktsaat-Systeme sind aktuell ohne Glyphosat nur schwer umzusetzen. Trotz umfangreicher wissenschaftlicher Indizien zur Unbedenklichkeit von Glyphosat bei sachgerechter Anwendung [14], hat die Bundesregierung im Rahmen des „Agrarpakets“ das Zulassungsende von glyphosathaltigen Pflanzenschutzmittel für Ende 2023 beschlossen. Dies wird sehr wahrscheinlich zu einer Zunahme des Pflugeinsatzes, auf jeden Fall aber zu einer Zunahme an Bodenbearbeitung führen, was somit die Klimaschutzbestrebungen konterkariert.

3) Änderung der Ernährungsweise: Dieser Bereich wird im Eckpunktepapier [15] in keiner Weise adressiert, obwohl der Weltklimarat deutlich auf die Bedeutung einer Ernährungsveränderung hingewiesen hat. In dem oben verlinkten YouTube-Video hat Joseph Poore, auf Basis seiner Studie, die Relevanz der Ernährungsweise gut auf den Punkt gebracht: Die Änderung der Ernährung ist DIE einzelne Maßnahme, mit dem größten Einfluss auf die Klimagasemissionen eines durchschnittlichen Menschen. Deutlich größer als z.B. Änderungen im Bereich Mobilität (https://www.youtube.com/watch?v=8miQs3mPGu8, Minute 39:33). Möglichkeiten von staatlicher Seite, wie Bildungsmaßnahmen, eine Kennzeichnung von Lebensmitteln, Steuern bzw. Abgaben für Lebensmittel mit hohen Emissionen oder die Einbeziehung von Lebensmitteln in den Emissionshandel wären, zumindest in Teilbereichen, umsetzbar. Aber im Vergleich zu anderen Sektoren, wie etwa Verkehr, scheint die Politik konkrete Maßnahmen im Bereich Ernährung eher zu scheuen.

Fazit

Landwirtschaft und Ernährung sind ein wesentlicher Teil der Herausforderung UND Lösung der globalen Klimakrise. Der Weltklimarat hat mit einem breiten wissenschaftlichen Konsens diesbezüglich klare Vorschläge ausgearbeitet und veröffentlicht. Tun wir das Richtige für den Klimaschutz im Bereich Landwirtschaft und Ernährung? Auch wenn die Richtung stimmen mag, sieht es in Teilen sehr nach Kompromissen aus, mit dem Ziel, wenig Widerspruch in der Gesellschaft zu erregen.

Einzelnachweise

[1] https://www.bundesregierung.de/resource/blob/997532/1673502/768b67ba939c098c994b71c0b7d6e636/2019-09-20-klimaschutzprogramm-data.pdf

[2] https://www.bmel.de/DE/Landwirtschaft/Nachhaltige-Landnutzung/Klimawandel/_Texte/LandwirtschaftUndKlimaschutz.html

[3] https://www.thuenen.de/media/publikationen/thuenen-report/Thuenen-Report_11.pdf

[4] https://literatur.thuenen.de/digbib_extern/bitv/dk041942.pdf

[5] https://www.nature.com/articles/s41586-018-0757-z

[6] https://www.indigoag.com/the-terraton-initiative

[7] https://www.ipcc.ch/report/srccl/

[8] https://www.wri.org/publication/reducing-food-loss-and-waste

[9] https://science.sciencemag.org/content/360/6392/987

[10] https://literatur.thuenen.de/digbib_extern/dn060722.pdf

[11] https://www.nature.com/articles/s41586-018-0757-z

[12] IPCC SRCCL: 5.6.4.3 Conservation agriculture

[13] https://cms.gruene.de/uploads/documents/2019-03_Magazin_Gruene.pdf

[14] https://www.bfr.bund.de/cm/343/neue-meta-analyse-zu-glyphosathaltigen-pflanzenschutzmitteln-aendert-die-bewertung-des-wirkstoffs-nicht.pdf

[15] https://www.bundesregierung.de/resource/blob/997532/1673502/768b67ba939c098c994b71c0b7d6e636/2019-09-20-klimaschutzprogramm-data.pdf

Peter Breunig

2 Kommentare

  1. Co 2 ist kein Schadstoff, sondern Pflanzennährstoff und könnte viel besser genutzt werden.DieTechniken hierfür sind angeblich zu teuer. Das ist doch Volksverdummung.

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