Die Domestikation unserer Kulturpflanzen dauerte Jahrtausende. Die Merkmale sind häufig sehr ähnlich und mittlerweile gut untersucht. Bei der De-novo-Domestikation wird versucht, dieses Wissen und neue Methoden zu nutzen, um in wilde Pflanzen im Zeitraffer die wichtigsten Eigenschaften kultivierter Pflanzen zu erzeugen.
In meinem letzten Beitrag ging es darum, wie aus wilden Pflanzen unsere heutigen Kulturpflanzen wurden. Wie am Beispiel der Spindelfestigkeit bei Getreide gezeigt, sind es oft nur kleine Mutationen in einem oder wenigen Genen, die für ein entscheidendes Domestikationsmerkmal verantwortlich sein können. All das wurde erst in den letzten Jahren genauer untersucht und immer mehr solcher genetischen Grundlagen kommen ans Licht. Heute sind etwa 100 Gene in verschiedenen Arten bekannt, die für typische Domestikationsmerkmale verantwortlich sind. Diese unterscheiden sich zwischen unterschiedlichen Kulturpflanzentypen. So haben unterschiedliche Getreide-Arten Domestikationsmerkmale wie die erwähnte Spindelfestigkeit oder mehr und größere Körner gemeinsam, während Gemüse-Arten sich durch Wuchs, Fruchtform und -größe von ihren wilden Vorfahren unterscheiden. Die Vergleiche zeigen außerdem, dass es einerseits viele Fälle gibt, in denen die verwandten Gene in unterschiedlichen Arten denselben Effekt haben. Anderseits finden Forschende auch immer wieder, dass ähnliche Eigenschaften durch unterschiedliche Gene verursacht werden.
Aktuelles Wissen nutzen
Mit all diesen Erkenntnissen ergibt sich aber auch die Frage: Wie lässt sich dieses Wissen nutzen? Ließen sich nicht vielleicht neue Pflanzen domestizieren? Bei Kreuzung und Selektion wüsste man jetzt, worauf genau zu achten wäre und mit CRISPR & Co. gibt es heute darüber hinaus Methoden, zielgenau einzelne Gene zu mutieren. Das ist doch wie gemacht dafür!
Diese Fragen haben sich tatsächlich schon einige Forschende gestellt. Als „De-novo-Domestikation“ (de novo, lat. „von neuem“) taucht die Idee in einigen Forschungspublikationen auf. Meist handelt es sich dabei noch eher um Konzeptstudien, die die Möglichkeiten genauer beleuchten. So beschreiben Alisdair R. Fernie vom Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie in Potsdam und Jianbing Yan von der Huazhong Agricultural University in China in einem gemeinsamen, ausführlichen Artikel die „De-novo-Domestikation als alternativen Weg zu zukünftigen Nutzpflanzen.“
Etwa 30.000 Pflanzenarten werden als prinzipiell essbar eingestuft, doch nur etwa 7.000 gelten als (semi-)domestiziert und davon werden nur 150 Arten in nennenswertem Umfang angebaut. Lediglich 15 Pflanzenarten liefern 70 % unserer Kalorien. Mais, Reis und Weizen allein liefern über 50 %. Diese vielen Zahlen spiegeln einerseits die Leistungen der Pflanzenzüchtung und Landwirtschaft in den vergangenen Jahrhunderten wider. Ertragreiche Pflanzen konnten für viele Ackerbauregionen der Welt angepasst und somit umfangreich angebaut werden. Auf der anderen Seite bieten die tausenden wenig oder gar ungenutzten Pflanzenarten auch ein großes Potential. Die Herausforderungen sind bekannt: Bei Zunahme von Wetterextremen durch den Klimawandel, der Flächenkonkurrenz zwischen Natur, Landwirtschaft und Siedlungsflächen, dem Ziel von weniger Ressourceneinsatz und der gleichzeitig stark steigenden Weltbevölkerung sind viele Ansätze gefragt, all diesen Problemen zu werden.
Wilde Verwandte von Kulturpflanzen werden schon lange in der Pflanzenzüchtung genutzt, um neue genetische Vielfalt ins Zuchtmaterial zu bringen. Doch solche Kreuzungen kommen stets mit dem Nachteil, dass die unkultivierten Pflanzen eben auch ihre „schlechten Manieren“ vererben, also etwa wieder ihre Körner auf den Boden fallen lassen oder sehr kleine Früchte bilden. Hier setzt De-novo-Domestikation an: Sie will diesen unkultivierten Pflanzen sozusagen die wichtigsten Manieren beibringen.
Wer bringt dieser Tomate Manieren bei?
Wie so etwas mithilfe von CRISPR/Cas funktionieren kann, hat eine Forscher*innengruppe um Agustin Zsögön und Tomáš Čermák im letzten Jahr in einer Studie am Beispiel von Solanum pimpinellifolium gezeigt. Dabei handelt es sich um einen möglichen Vorfahren der Tomate (Solanum lycopersicum), mit typischen Merkmalen einer Wildpflanze, wie den nur erbsengroßen Früchten. Die Forschenden nahmen sich sechs bereits beschriebene Gene mit so klangvollen Namen wie „Fruit Weight 2.2“ oder „Multiflora“ vor, durch deren parallele Mutagenese in S. pimpinellifolium sie Wuchsform, die Zahl der Früchte und deren Größe verbessern wollten. Vier dieser Gene wurden erfolgreich mutiert und bereits nach einer Pflanzengeneration konnten die Forschenden die gewünschten Effekte beobachten: Ein verbesserter Wuchs, mehr Blüten und größere Früchte machten aus einer Wild- eine typische Kulturpflanze. Gleichzeitig wurde den Früchten durch eine weitere Mutation ein erhöhter Gehalt des gesundheitsfördernden Farbstoffs Lycopin verliehen.
Die neue Zuchttomate (rechts) hat verschiedene Domestikations-Merkmale, die sie von der Wildpflanze (links) unterscheiden (Details jeweils im Uhrzeigersinn): Sie bildet mehr Blüten und trägt entsprechend mehr Früchte, die Früchte sind größer und eiförmig statt rund. Die Zuchttomate enthält mehr Lycopin, was sich durch eine tiefere Rotfärbung des Safts bemerkbar macht, und die Pflanze hat einen kompakteren Wuchs. © Agustin Zsögön/Nature Biotechnology/ Pressemitteilung Uni Münster
Dieses Beispiel zeigt das Potential dieses Ansatzes: Kreuzungen mit solchen neu domestizierten Wildpflanzen könnten es einfacher machen, den Genpool der Kulturpflanzen zu erweitern und damit beispielsweise an andere Umwelten anzupassen oder sie widerstandsfähiger gegen Schaderreger zu machen.
Schwer erziehbare Pflanzen
Wie immer ist alles nicht so einfach. Die Forschenden haben mit der Tomate ein sehr gut funktionierendes Beispiel gewählt. Doch selbst da konnten sie nicht alle Gene editieren, weil sich die DNA-Sequenzen zwischen der Kulturtomate und S. pimpinellifolium in diesen Genen so unterschieden, dass das CRISPR-Konstrukt nicht funktionierte. Denn für ein so präzises Instrument wie CRISPR sind auch präzise Informationen erforderlich. Das bedeutet in erster Linie: Die Gene der Pflanze, die editiert werden soll, müssen sequenziert und die Funktion der Gene bekannt sein. Für immer mehr Pflanzen stehen die Sequenzinformationen für das gesamte Genom zur Verfügung und für nahe Verwandte dieser Pflanzen kann man weitgehend auf diese Informationen zurückgreifen (wie es ja auch Zsögön et al. gemacht haben). Doch wenn es wirklich um bisher völlig neue Arten und Gattungen geht, wird es schon deutlich schwieriger, die CRISPR-Genschere an die richtigen Positionen im Genom zu navigieren. Hier können aber immer bessere und vor allem immer billigere Sequenziertechniken Abhilfe schaffen.
Ein weiterer Flaschenhals hat mit CRISPR/Cas selbst weniger zu tun, sondern eher mit der praktischen Umsetzung im Labor. Die Anwendung von CRISPR/Cas ist abhängig von pflanzlicher Zellkultur. Denn das Grundprinzip ist: Die Genschere wird möglichst in einer oder wenigen Pflanzenzellen angewendet, aus denen dann in vitro (lat. „im Glas“), also auf Nährmedien in Reagenzgläsern oder Petrischalen, wieder ganze Pflanzen regeneriert werden. Diese In-vitro-Kultur für eine neue Pflanzenart zu etablieren, ist ein sehr langwieriger und aufwendiger Prozess, in dem etwa verschiedene Zelltypen oder die komplexe Zusammensetzung der Nährmedien für alle Entwicklungsstadien getestet werden müssen. Häufig reagieren sogar verschiedene Sorten einer Pflanzenart ganz unterschiedlich auf die In-vitro-Kulturbedingungen. Das gilt auch für Kulturpflanzen. Nicht jede Gerstensorte lässt sich gleich gut in vitro kultivieren und damit auch nicht gleich gut „crispern“. Aber auch hier gibt es mittlerweile eine ganze Reihe neuer Forschungsansätze, um diese sogenannte „Genotypenabhängigkeit“ zu reduzieren.
Gerstenpflänzchen in In-vitro-Kultur: Der Spross ist schon da, jetzt brauchen sie nur noch Wurzeln. Damit diese wachsen, enthält das Nährmedium neben Nährstoffen und Spurenelementen auch pflanzliche Hormone, die die Wurzelbildung steuern. © Robert Hoffie
In Europa ist derzeit der rechtliche Rahmen ein weiterer Hinderungsgrund. Nach aktuellem Recht fällt jede Pflanze, die auch nur eine kleine Mutation trägt, die durch CRISPR oder vergleichbare Techniken erzeugt wurde, unter die Gentechnikregulierung und muss damit ein aufwendiges, langwieriges und teures Zulassungsverfahren durchlaufen, was die praxisrelevante Anwendung letzlich verhindert.
Fazit
Die De-novo-Domestikation mithilfe präziser Mutageneseverfahren wie CRISPR/Cas bietet ein großes Potential, bisher wenig oder ungenutzte Pflanzen in Kultur zu bringen oder wilde Verwandte unserer Nutzpflanzen für die Pflanzenzüchtung besser nutzbar zu machen. Auch wenn es dabei noch einige Hürden zu überwinden gibt, werden wir in einigen Jahr(zehnt)en vielleicht neue Pflanzen auf den Äckern und Tellern finden. Martin wird sie dann für uns probieren.
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