Neues Recht für Neue Genomische Techniken

Die meisten Lesenden wissen es bereits: Am 5. Juli 2023 veröffentlichte die EU-Kommission einen Vorschlag für eine Verordnung über mit bestimmten neuen genomischen Techniken gewonnene Pflanzen (NGT-Pflanzen) und die aus ihnen gewonnenen Lebens- und Futtermittel (im Folgenden: Verordnungsentwurf, Entwurf oder Vorschlag). Ein Fachbeitrag im Open Access Journal „European Papers“ setzt sich sowohl juristisch als auch naturwissenschaftlich detailliert mit diesem Verordnungsentwurf auseinander. Wer die wesentlichen Informationen lieber ohne viele Gesetzeszitate konsumieren möchte, soll mit diesem Beitrag bedient werden.Im Hintergrund eine In-vitro-Kultur mit einem kleinen Gersten-Pflanzchen, davor übereinander gestapelt die Gesetzentwürfe zur Regulierung von Neuen Genomsichen Techniken bei Pflanzen von der EU Kommission, dem Parlament und dem Europäischen Rat

Ein genomeditiertes Gersten-Pflänzchen in Zellkultur. Die Regulierung entscheidet darüber, ob es einmal aufs Feld darf. Momentan verscuht der Europäische Rat sich auf eine Verhandlungsposition zu einigen, mit der er dann in die Diskussion mit Europaischem Parlament und Kommission geht.  (c) Collage: Robert Hoffie

Anwendungsbereich des Verordnungsentwurfs

Der Verordnungsentwurf gilt nur für NGT-Pflanzen und deren Produkte. Es geht also nur um Pflanzen, die mittels neuen genomischen Techniken wie etwa CRISPR/Cas gezielt mutiert wurden oder in die ein Gen aus einer anderen kreuzungskompatiblen Art eingefügt wurde. Nicht erfasst von der Verordnung sind dagegen Pflanzen, die ein Transgen enthalten, wie  z. B. der insektenresistente MON810-Mais. Die Kommission stellt in ihrem Entwurf klar, dass auch NGT-Pflanzen genetisch veränderte Organismen (GVO) sind, allerdings soll der Verordnungsentwurf für diese GVO ein Spezialrecht schaffen, sodass das bisherige Gentechnikrecht für solche NGT-Pflanzen im Ergebnis fast gar nicht oder nur eingeschränkt gilt.

Kategorien 1 und 2

Die NGT-Pflanzen werden dafür in zwei Kategorien unterteilt, nämlich in die Kategorie 1 und 2. Diese Unterscheidung ist essenziell, da NGT-Pflanzen der Kategorie 1 in sehr großem Umfang von den bisherigen gentechnikrechtlichen Regelungen ausgenommen werden, während den NGT-Pflanzen der Kategorie 2 wesentlich weniger regulatorische Erleichterungen zuteilwerden.

Welche NGT-Pflanzen fallen nun unter Kategorie 1? Das bestimmt der Anhang 1 zu dem Verordnungsentwurf. Knapp zusammengefasst: Erlaubt sind maximal 20 genetische Veränderungen – dies können Insertionen und Austausche von bis zu 20 Basenpaaren, Deletionen beliebiger Länge oder das Einfügen zusammenhängender DNA-Sequenzen aus dem Züchter-Genpool sein, sofern dabei keine endogenen, also bestehende Gene der Zielpflanze unterbrochen werden.

Der Züchter-Genpool umfasst alle genetischen Informationen der Art einschließlich der von anderen Arten, mit denen die Art (ggf. unter Einsatz von Technik, aber nicht Gentechnik) gekreuzt werden können. Das ist eine sehr breite Definition. Und tatsächlich bewegt sich die ganz überwiegende Mehrheit der derzeit in Forschung und Entwicklung befindlichen genomeditierten Pflanzen im Rahmen dieser Anforderung – sind also in Kategorie 1 einzuordnen.

Was bedeutet Kategorie 1?

Wie bereits angedeutet, werden NGT-Pflanzen der Kategorie 1 im Entwurf stark privilegiert. Für sie soll das Gentechnikrecht grundsätzlich nicht gelten. Für Forschungsfreisetzungen und das Inverkehrbringen wäre insbesondere keine Risikobewertung mehr erforderlich – es muss lediglich noch in einem schlanken Verfahren behördlich überprüft werden, ob die Voraussetzungen für die Einstufung in die Kategorie 1 vorliegen. Eine Kennzeichnung ist nach dem Willen der KOM nur für Saatgut vorgesehen – nicht hingegen für Endprodukte im Supermarkt. Allerdings dürfen NGT-Pflanzen für die ökologische Produktion nach der Öko-Verordnung nach dem Entwurf nicht eingesetzt werden. Damit würde das hellgrüne Symbol mit dem aus den zwölf Sternen der Europaflagge stilisierten Blatt also weiterhin eine Produktgruppe bereithalten, die frei von NGT-Pflanzen ist (Stichwort: Wahlfreiheit). Außerdem wird ein öffentlich einsehbares Register geführt, in das diese Pflanzen aufgenommen werden.

Und Kategorie 2?

Für NGT-Pflanzen der Kategorie 2 – das sind alle nicht-transgenen NGT-Pflanzen, die nicht in Kategorie 1 fallen –, würde nach dem Entwurf grundsätzlich das bisherige Gentechnikrecht fortgelten, wobei die Risikobewertung abgespeckt wird. Daten zu bestimmten Themen müssten nur noch dann erhoben und erörtert werden, wenn es eine plausible Risikohypothese gibt – dies betrifft z. B. Wechselwirkungen zwischen der NGT-Pflanze und anderen Organismen sowie Informationen zur Allergenität. Es muss also nicht, wie bisher bei klassischen GVO vorgesehen, ein grundsätzlicher Katalog an Experimenten abgearbeitet werden.

Ebenfalls sehr wichtig: Anders als nach bisherigem Gentechnikrecht hätten die Mitgliedstaaten für Kategorie 2 NGT-Pflanzen keine Opt-Out-Möglichkeit mehr. Diese erlaubt den Mitgliedstaaten, den Anbau auch nachgewiesenerweise sicherer GVO unter Berufung auf Gründe wie etwa „agrarpolitische Ziele“ oder „sozioökonomische Auswirkungen“ im eigenen Staat zu verbieten.

Wissenschaftliche Diskussion

Es kann nun natürlich trefflich diskutiert werden, dass die Kriterien der Kategorie 1 zur Gleichwertigkeit mit Produkten der konventionellen Pflanzenzucht hinterfragbar seien. Jeder erfahrene Pflanzenzüchter weiß, dass z. B. je nach Dosis einer Mutagenese die in der Kategorie 1 gesetzten Grenzwerte bzw. Rahmenbedingungen oft durchbrochen werden. Hier muss man wohl einfach konstatieren, dass die Kommission zur Erreichung einer Kompromissfähigkeit des Gesetzesvorschlages eine Grenzziehung vornehmen musste. Sie hat dies auch nicht willkürlich getan, sondern mittels einer umfassenden Literaturrecherche abgewogen, welche Häufigkeiten den verschiedenen genetischen Veränderungen in der konventionellen Züchtung bestehen, um zu diesem Ergebnis zu kommen.

Rechtliche Diskussion

Vor allem aufgrund der Aufhebung der Risikobewertung für NGT-Pflanzen der Kategorie 1 wird von gentechnikkritischer Seite immer wieder die Meinung vertreten, der Verordnungsentwurf verletzte das Vorsorgeprinzip. Befürwortende dieser These verwiesen dafür vor allem auf die Rechtsprechung des EuGH zu Mutageneseverfahren. Dies erscheint allerdings sehr kurz gegriffen: Der EuGH stützte sich in seinen bisherigen Entscheidungen nämlich auf den Wortlaut des geltenden EU-Gentechnikrechts, das GVO als etwas per se Gefährliches ansieht, das zwingend einer Überwachung bedarf. Der Verordnungsentwurf geht aber – auf wissenschaftlicher Grundlage (s. o.) und einem breiten Konsens innerhalb der Wissenschaft – davon aus, dass etwa NGT-Pflanzen der Kategorie 1 kaum regulierungsbedürftig sind, weil ihr Risiko nicht größer ist als das von Pflanzen aus konventioneller Züchtung. Denn auch der EuGH interpretiert das Vorsorgeprinzip in seiner ständigen Rechtsprechung nicht als Prinzip einer ausufernden Risikovorbeugung, sondern als Ermächtigungsgrundlage für frühe staatliche Eingriffe bei Unklarheiten über Risiken.

Auch der Vorwurf eines Verstoßes gegen das völkerrechtliche Cartagena Protokoll überzeugt in der Pauschalität kaum. Das Cartagena Protokoll regelt den Umgang mit und die grenzüberschreitende Verbringung von so genannten lebenden modifizierten Organismen (LMO). Häufig werden die Begriffe LMO und GVO synonym verwendet, jedoch weisen die Definitionen durchaus Unterschiede auf. Man könnte durchaus versuchen zu argumentieren, dass Kategorie 1 NGT-Pflanzen gar keine LMO im Sinne des Cartagena Protokolls seien. Dies scheint die Meinung mehrerer Mitgliedstaaten zu sein, die bereits gelockerte Regeln für genomeditierte Organismen haben, z. B. Kanada, Japan oder Brasilien. Selbst wenn man dies anders sehen wollte, sind die Vorgaben des Cartagena-Protokolls, wie für Völkerrecht nicht ungewöhnlich, an vielen Stellen relativ grob. Auch wenn man also davon ausginge, dass NGT-Pflanzen der Kategorie 1 in der Tat LMO im Sinne des Protokolls wären, würden diese nicht unbedingt gegen die Risikobewertungs-Vorschriften des Protokolls verstoßen. Immerhin werden sie ja einzeln betrachtet, bevor sie in den Verkehr gebracht werden können (eine Zuordnung zum Risikoprofil „äquivalent zu konventionell gezüchteten Pflanzen“ wird ja vorgenommen). Damit fand bereits vorab eine Art vorweggenommene, legislative Risikobewertung statt.

Kritischer hinterfragen kann man indes, dass die Kommission das Recht bekommen soll, eigenständig die Kriterien für die Kategorisierung der NGT-Pflanzen mittels sogenannter delegierter Rechtsakte zu verändern. Sicherlich ist dies für die Flexibilisierung des Regelwerks hilfreich, andererseits darf dieses Instrument nur zur Änderung „nicht wesentlicher Vorschriften“ vorgesehen werden. Ob die Vorschriften über die ja sehr bedeutsame Kategorisierung der NGT-Pflanzen wirklich als „nicht wesentlich“ angesehen werden kann, kann man durchaus bezweifeln.

Schließlich gerät auch das Thema der Patente immer wieder in den Fokus der Diskussion.
Klar ist: Nach geltendem Patentrecht können NGT-Pflanzen grundsätzlich patentiert werden. Das Europäische Parlament hat sich nun dafür ausgesprochen, Patente auf NGT-Pflanzen zu verbieten. Dies ist getragen von der Sorge vor einer Monopolisierung des Saatgutsektors. Dass es sich grundsätzlich um ein diskutables Thema handelt, erkennt auch die KOM an, die bereits zugesagt hat, sich mit der Frage möglicher Folgen einer (fehlenden) Patentierbarkeit in einem umfassenden Bericht zu beschäftigten, den sie 2026 vorlegen will.

Nicht vergessen darf man aber, dass es sich grundsätzlich um zwei ganz unterschiedliche Rechtsbereiche handelt. Schon heute könnte man in Europa ohne Weiteres NGT-Pflanzen patentieren – dies hängt nicht von ihrem gentechnikrechtlichen Status ab. Außerdem kann der EU-Gesetzgeber allein das Patentrecht nicht umfassend verändern, da die Patente im Biotechnologiebereich ganz überwiegend vom Europäischen Patentamt erteilt werden. Und das Europäische Patentamt ist keine EU-Institution, sondern eine Institution der völkerrechtlichen Europäischen Patentorganisation, der 39 Mitgliedstaaten und eben auch Nicht-EU-Staaten, angehören. Dort wird nach einem eigenen Rechtsrahmen agiert, der vom EU-Recht nicht einfach ausgehebelt werden kann.

Auch ist das Ziel des Patentrechts nicht die Schaffung von Monopolen und die Befriedigung der Gier boshafter CEOs, sondern die Förderung der Innovation im Allgemeinen. Denkbar scheint zudem, dass Patentschriften bzw. hinterlegtes biologisches Material auch wichtige Erkenntnisquellen zur Entwicklung von Nachweismethoden sind. All das sollte sorgsam bedacht werden, wenn über die Zukunft der Patentierbarkeit von NGT-Pflanzen diskutiert wird.

 

Dieser Beitrag basiert auf:

Kahrmann J, Leggewie G: European Commission’s Plans for a Special Regulation of Plants Created by New Genomic Techniques. European Papers, Vol. 9, 2024, No 1, European Forum, Insight of 15 April 2024, pp. 21-38
ISSN 2499-8249. doi: 10.15166/2499-8249/740

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