Ein mulmiges Gefühl im Bauch
Ich tue mich oftmals schwer damit, dass wir in Zeiten leben, in denen Politik mehr nach den Gefühlen der Bürger*innen ausgerichtet wird als nach Fakten. Wenn Fakten maßgeblich wären, gäbe es weniger Fremdenhass, mehr autofreie Innenstädte und Klimaschutz im weitesten Sinne. Aber scheinbar lassen wir uns nicht ausschließlich von rationalen Argumenten überzeugen, sondern vertrauen einem diffusen Bauchgefühl. Ich finde es fatal, wenn nur noch davon gesprochen wird, die „Gefühle der Bürger*innen“ wahrzunehmen. Natürlich, das gehört auch irgendwo zu menschennaher Politik. Aber Gefühle können auch schon mal unbegründet sein, irrational und sind wesentlich anfälliger für Manipulation als faktenbasierte Argumente. Bisher hatte ich den Eindruck, dass vor allem Bündnis 90/ Die Grünen nicht auf den Zug mitaufspringen und mit Argumenten überzeugen möchten. Allerdings gibt es ein Thema, bei dem ich nun nicht mehr auf Parteilinie bin: Gentechnik. Vor Kurzem musste ich mir bei diesem Thema nämlich erst einmal an die eigene Nase fassen, denn auch ich lehnte alles was unter den Titel Gentechnik fiel kategorisch ab. Ich habe keinen naturwissenschaftlichen Hintergrund, daher fehlte mir ein wenig Grundverständnis und Grundwissen dazu, was Gentechnik eigentlich bedeutet und wie sehr sie schon immer Teil meines Alltages war. Bevor ich mir dessen bewusst wurde, war ich Teil der Gentechnikgegner*innen, die darin das Böse schlechthin sahen. In Diskussionen fiel mir dann aber immer relativ schnell auf, dass ich kaum fachlich oder wissenschaftlich begründet argumentieren konnte, was mich ziemlich frustrierte. Immerhin hatte ich ja das Bauchgefühl, dass mit Gentechnik irgendetwas nicht stimmte. Das konnte ja nicht einfach von irgendwo herkommen, oder doch? Um mir eine Grundlage für zukünftige Diskussionen zu schaffen, begann ich zu recherchieren und Informationen zu sammeln. Neben ausgiebiger Lektüre besuchte ich zwei Veranstaltungen im Naturkundemuseum mit unterschiedlichen wissenschaftlichen Gästen zu dem Thema und merkte, wie ideologisch-verklärt viele Gegner*innen waren. Die Kritik aus dem Publikum wirkte teilweise schlichtweg unreflektiert und verbohrt und stand in starkem Kontrast zu der Aussage von Jens Boch, einem der Gäste: „Was glauben Sie, was wir als Forscher*innen jeden Tag versuchen? Die Welt zu verbessen, gar zu retten! Genau, wie Sie auch!“.
Zwischen den Fronten der Schwarz-Weiß-Denkenden
Da wurde mir zum ersten Mal klar, dass ich nicht länger zu dieser Gruppe gehören wollte. Meine Recherche ergab dann auch noch das exakte Gegenteil meines Bauchgefühls: die Studien und Berichte von vielen Wissenschaftler*innen, die Gentechnik befürworten, waren um Längen ausführlicher, gemäßigter, reflektierter und informativer als die Aussagen auf den Seiten von Greenpeace1, des Gen-ethischen Netzwerks2 oder der Verbraucherzentrale3. So gibt es bis heute keine konkret belegten gesundheitlichen Risiken durch gentechnisch veränderte Lebensmittel. Auch der Zusammenhang zwischen gentechnisch veränderten Pflanzen und dem Einsatz von Pestiziden beruht auf einer eingeschränkten Betrachtung der Gentechnik: es lassen sich nämlich auch Pflanzen herstellen, die den Einsatz mancher Mittel überflüssig machen. Die Menge an Pestiziden, die in der Landwirtschaft unersetzlich scheinen, könnte mit Gentechnik also drastisch reduziert werden. Außerdem haben Forschung und Weiterentwicklung von Saatgut nicht zwangsläufig den Effekt, die Sortenvielfalt zu reduzieren und sogenannte alte Sorten zu verdrängen. Unsere heutige Sortenvielfalt in der Landwirtschaft hat ihre Ursprünge vielmehr in der Gentechnik der vergangenen Jahrhunderte. Mir wurde bewusst, worauf Robert Hoffie in seinem Artikel „Zähmung der Pflanzen“ hinweist: Der seit Jahrtausenden durchgeführten Pflanzenzüchtung verdanken wir den Arten- und Sortenreichtum auf unseren Tellern und den Lebensstandard, den wir heute nicht mehr entbehren wollen würden. Gentechnik ist also vor allem ein Werkzeug mit sehr vielen Möglichkeiten, von denen bisher leider nur wenige (vor allem für Sorten mit Herbizidresistenz und Bt-Mais) genutzt werden. Durch diese Fehlentwicklungen und Fehlinformationen kommt es schlussendlich zur breiten Ablehnung der Gentechnik in der Bevölkerung. In einer der Debatten, die ich im Naturkundemuseum in Berlin verfolgen konnte, wurde festgestellt, dass es sehr schwierig ist, die Anwendung der neusten gentechnischen Verfahren und die daraus resultierenden Veränderungen in einer Pflanze nachzuweisen. Dies wurde als Kritikpunkt angebracht, da es die Kontrollfähigkeit von Gentechnik einzuschränken scheint. Mein Gedanke war aber vor allem: wenn man nicht nachweisen kann, dass ein Eingriff stattgefunden hat, wo ist dann der Unterschied zu einer Mutation, die ohne Zutun des Menschen stattgefunden hat? Mir kam und kommt es so vor, als würde oft gezielt Angst vor gentechnischen Veränderungen geschürt, auch wenn der Anlass mehr als fragwürdig ist.
„Im Interesse der Verbraucher*innen“ – wirklich?
Um zumindest der Verbreitung von unvollständigen Informationen einen Riegel vorzuschieben, hat ein Freund von mir die Verbraucherzentrale mit der Frage konfrontiert, weshalb der Artikel auf der Webseite der Zentrale wesentlich weniger wissenschaftliche Quellen aufwies als ein Wikipedia Artikel zum Thema Gentechnik.
Die Antwort war für mich schockierend:
„Wir verfolgen ausschließlich die Interessen der Verbraucher und Verbraucherinnen. Repräsentative Umfragen, z.B. des BfN 2018 zeigen, dass die deutsche Bevölkerung Gentechnik überwiegend kritisch sieht und Gentechnik in der Landwirtschaft zu 79 Prozent ablehnt.(…) Wir betrachten den von Ihnen zitierten Text in Wikipedia zu Gentechnik nicht als neutrale Darstellung. Es gibt keinen wissenschaftlichen Konsens über die Sicherheit. Für eine sachgerechte Auseinandersetzung mit dem Thema empfehlen wir Ihnen beispielsweise, auch die Expertenseiten von testbiotech und dem Genethischen Netzwerk zu berücksichtigen. So könnte auch der folgende Link für Sie von Interesse sein http://www.gen-ethisches-netzwerk.de/risikodebatte-und-risikomanagement/kein-wissenschaftlicher-konsens“
Hier wird also anscheinend die Ablehnung der Bevölkerung als Maßstab genommen für die Darstellung der Gentechnik. Auf das Gen-ethische Netzwerk (welches Gentechnik eher ablehnt) zu verweisen macht noch einmal mehr klar, dass hier keine neutrale Informationsarbeit geleistet wird. Ich war zunächst frustriert, verstand dann aber, dass ich, wie viele andere auch, vorher mit zweierlei Maß gemessen hatte. Zum einen ließ ich mich eher von wissenschaftlichen und rationalen Argumenten überzeugen. Aber wo mir Verständnis und Information fehlten, verfiel ich schnell in die emotionale, ergo ablehnende Argumentationsschiene. Ich kann das mulmige Gefühl, das viele bei dem Thema Gentechnik haben nach wie vor sehr gut verstehen. Ich denke, es kommt vor allem daher, dass die Vorstellung an Genen „herumzuschneiden“ einen Beigeschmack des Dammbruchs hat. „Wenn wir das zulassen, wohin führt das denn noch?“ In der Tat ist es fundamental wichtig, die Debatte über neue Technologien auch auf der Ebene der Ethik zu führen und kritische Fragen zu stellen. Manche wissenschaftlichen Darstellungen ignorieren diesen Aspekt leider. Aber am Ende haben wir es doch in der Hand, die Politik unter Druck zu setzen und für einen vernünftigen, regulierten Umgang mit Technologie zu sorgen. Mir persönlich liegt am Herzen, dass Gentechnik nicht länger nur in Sätzen auftaucht, in denen Monsanto, Bayer, Dupont oder andere große Konzerne vorkommen. Denn in der derzeitigen Situation halten einige wenige das Potenzial der Gentechnik in ihren Händen und zwingen Landwirt*innen in verheerende Abhängigkeiten. Diese Form der Gentechniknutzung und -vermarktung lehne ich ab. In der öffentlichen Darstellung überwiegt leider noch die Unzertrennlichkeit von Gentechnik und den großen Konzernen. Das muss sich aus meiner Sicht dringend ändern, damit ein demokratischer Diskurs über Gentechnik entstehen kann, der vor allem die globalen Möglichkeiten neuer wissenschaftlicher Errungenschaften thematisiert und nicht die Vormachtstellung einiger Konzerne.
Alle reden von „natürlich“…
Ich kann sehr gut verstehen, wenn Menschen Gentechnik ablehnen, da sie zurzeit sehr einseitig genutzt wird. Daher muss sich dringend auf politischer Ebene etwas ändern, auch dafür möchte ich in Zukunft eintreten. Des Weiteren möchte ich mich hier vehement gegen Genome Editing bei Tieren aussprechen, aber das ist nochmal eine ganz andere, vor allem ethische Frage. Was vielen Menschen heute helfen würde, wäre die Erkenntnis, die ich hatte: in der Züchtung von Pflanzne wird Genomveränderung im weitesten Sinne schon seit etwa 10 000 Jahren betrieben und ohne sie könnte ich vermutlich nichts im Supermarkt kaufen, um es etwas überspitzt zu formulieren. Viele Menschen, so auch ich zuvor, bewerten Technologie mit zweierlei Maß: auf der einen Seite nutzen wir neue Technologien jeden Tag, Smartphones und Internet sind unersetzliche Begleiter des täglichen Lebens geworden. Gerade unsere handlichen smarten Geräte möchte heutzutage wohl kaum ein Mensch missen. Wir vernetzen, organisieren und informieren uns in rasanter Geschwindigkeit dank der Entwicklung immer leistungsfähigerer Handys. Unzählige Startups entstehen und wachsen in Städten wie Berlin, weil es diese neuen technischen Möglichkeiten gibt. Aber in meinem Umfeld wollen genau dieselben technikbegeisterten Menschen möglichst „natürliche“, sprich technisch unveränderte Lebensmittel kaufen. Wir haben neue Technologien in vielen Bereichen unseres Alltags akzeptiert und profitieren davon. Auf der anderen Seite lehnen wir die technologische Weiterentwicklung von Lebensmitteln ab. Ich frage mich, woher diese Ablehnung in Bezug auf Grüne Gentechnik kommt. Mir scheint es ein wenig so, also basierte diese Einstellung auf einer Art Idealkonstruktion des Begriffs der Natürlichkeit, ohne dass jemals konkret definiert werden kann, was genau Natürlichkeit bedeuten soll. Ist es natürliche, bestimmte Pflanzenarten zu züchten? Die Vermischung verschiedener Arten, wie der Mensch es seit tausenden Jahren betreibt, ist eine Form der Gentechnik, die in der Evolution niemals einfach so vorkommen würde. Trotzdem gelten gezüchtete Pflanzen nicht per se als unnatürlich.
Mein Fazit: Um- und neu denken lohnt sich!
Es hat mich einige Zeit und Energie gekostet, mich durch die Fülle an zum Teil widersprüchlichen Quellen zu arbeiten, aber ich finde, es hat sich gelohnt. Ich habe meine Abwehrhaltung aufgeben und es rückblickend gerne getan, kam es doch einem Befreiungsschlag gleich. Ich bin nach wie vor eine Skeptikerin vieler neuen Technologien und Methoden, aber meine Kritik erscheint mir nun weitaus fundierter und ausgewogener. Wenn ich jetzt argumentieren muss, fallen mir sofort mehrere Aspekte ein und ich habe das Gefühl, mit Fakten überzeugen zu können und nicht mit nebulösen Bauchgefühlen. Mit diesem Erfahrungsbericht möchte ich an alle appellieren sich zu trauen, die eigenen festen Meinungen zu hinterfragen, auch wenn es die ein oder anderer schlaflose Nacht mit sich bringt. Als Teil der Progressiven Agrarwende unterstütze ich das Ziel, für einen faktenbasierten, weniger emotional aufgeladenen Diskurs zu sorgen. Das gilt für beide Seiten in der Debatte über die Nutzung von neuen Technologien in der Landwirtschaft. Ich bin gegen eine blinde und unkritische Anwendung aller möglichen Technologien, ebenso wie ich eine emotional aufgeladene Zurückweisung der gleichen Technologien ablehne. Es ist höchste Zeit, die Fronten aufzuweichen und fest etablierte Denkmuster ein wenig zu lockern.
- #GMOforGood - 13. Juni 2019
- Gentechnik – Vom Bauchgefühl zum Fakt - 30. Mai 2019
Na da sind Sie ja schon einige Schritte gegangen. Find ich gut.
Zu dem Satz:
„Mir persönlich liegt am Herzen, dass Gentechnik nicht länger nur in Sätzen auftaucht, in denen Monsanto, Bayer, Dupont oder andere große Konzerne vorkommen. Denn in der derzeitigen Situation halten einige wenige das Potenzial der Gentechnik in ihren Händen und zwingen Landwirt*innen in verheerende Abhängigkeiten“
Welche Landwirte meinen Sie, die verheerend abhängig sind? In Europa können es keine sein, da Gentechnik keine Rolle spielt. In USA? Da kenn ich einige Landwirte. Keiner von denen würde sich als abhängig oder unfrei (was Auswahl des Saatguts angeht) bezeichnen.
Zu dritte Welt Anwendungen lesen Sie z.B. hier:
https://idw-online.de/de/news486193
oder, ganz aktuell:
https://thewire.in/environment/why-bt-brinjal-is-a-hit-in-bangladesh
Zu Ihrem Wunsch, dass Grüne Gentechnik nicht vorwiegend in den Händen von finanzkräftigen Firmen stattfindet: Ja, das ist aber eine Folge der hohen Auflagen und Hürden, bis ein Produkt zum Markt kommt. Man muss über 10 Jahre und viele Millionen investieren. Mit dem Risiko, dass es nichts wird. Das können Kleine nicht leisten. Kleine könnten das nur, wenn die Hürden geringer wären. Für CRISPR böte sich hier eine Chance.
Auch bei dem Thema Marktmacht/Handelsbeziehungen/Abhängigkeiten lohnt es sich, zu differenzieren. In Europa haben wir z. B. einen viel diverseren Saatgutmarkt als in den USA. Das liegt auch, aber nicht nur, an einer anderen Gentechnik-Regulierung und allgemein einem anderen Umgang mit „geistigem Eigentum“ im Bezug auf Pflanzen. Im globalen Süden gibt es unterschiedliche wirtschaftliche Situationen, die jeweils unterschiedlich auf eine Deregulierung von GMOs reagieren. In Indien ist der Handel mit Saatgut z. B. stark staatlich zum Wohle der Landwirt*innen reguliert. Klar, dass dort besseres Saatgut von z. B. Mahyco oder der Punjab Agricultural University den Menschen hilft. Die angenehme Situation mit den Bt-Auberginen war vor allem einer öffentlich-privaten Partnerschaft und staatlich regulierter Ausgabe des Saatguts (kostenlos oder sehr günstig) zu verdanken. Die drei Großkonzerne kommen in dieser Geschichte gar nicht vor.
Ich kann Sie nur bitten, auch hier die Situation kritisch und differenziert zu betrachten.
Dieser Beitrag ist wie eine Oase in der Wüste. Man kann sich nur wünschen, dass noch viel mehr Menschen über den Tellerrand schauen wie Sie!
Das muss dann nur noch beim Thema Kernkraft passieren, das unter genau den gleichen Erscheinungen leidet wie die Gentechnik. Dann wären wir der Rettung der Welt schon einen großen Schritt näher gekommen!
Liebe Mona Noe,
vielen Dank für diese gute Schilderung. Durch einen ähnlichen Prozess bin ich vor ein paar Jahren auch gegangen. Zunächst beeinflusst von dem geradezu religösem Fanatismus gegen Gentechnik, der von Greenpeace und den Grünen verberietet wurde, dann auf wissenschaftlicher Basis die Themen hinterfragend hin zum Verstehen, das nicht die Technologie an sich Probleme hervorruft, sondern nur manche Arten Ihres Einsatzes. Leider hat gerade die Agitation gegen Gentechnik dazu geführt, das die vielen positiven Einsatzfelder für eine ökologische (sic!), klimafreundlichere Landwirtschaft nicht zum Zuge kamen. Denn vor allem kleine Saatzuchtbetriebe, die gute Lösungen in Vorbereitung hatten, haben sich dann irgendwann nicht mehr getraut in diese Technologie zu investieren.
Und es ist geradezu aberwitzig, wenn man auf der einen Seite den Leugnern eines Klimawandels mangelnde Wissenschaftlichkeit und die Missachtung wissenschaftlicher Studien vorwirft und auf der anderen seite selbiges mit der Gentechnik tut. So trägt man seinen Teil an zunehmenden vertrauensverlust in die politischen Eliten. Gerade mit der nach der letzten Wahl größeren verantwortung der Grünen wäre es wünschenswert, wenn hier ein Umdenken stattfindet und man nicht nur dort auf wissenschaftliche Erkenntnis pocht, wo es einem gerade ins Weltbild passt, sondern auch dort wo man dann vielleicht zugeben muss, das man falsch lag. Ich hoffe, Sie können hierzu Ihren Beitrag leisten.
es ist sehr erfreulich, dass es unter den Grünen inzwischen einige gibt, die anfangen, sachlich und unter Einbeziehung der Wissenschaft zu denken.
Der nächste Schritt, nämlich eine rational geleitete Diskussion über verschiedene Anwendungsformen und vor allem über die Ethik wurde bisher durch die populistisch geprägte Debatte verhindert.
Wenn diese ethische und gesellschaftliche Diskussion von der Vernunft bestimmt wird, dann wird man erstaunt feststellen, dass es keinen „Lagerkampf“ zwischen Wissenschaftlern und Nicht-Wissenschaftlern mehr gibt. Die Angelegenheit ist sehr komplex und vernünftige Menschen werden sich hüten, schnelle, dogmatische Lösungen anzubieten.
Für den Spezialfall der Genom-Editierung in der menschlichen Keimbahn hat der Deutsche Ethikrat eine Stellungnahme herausgegeben (https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Stellungnahmen/deutsch/stellungnahme-eingriffe-in-die-menschliche-keimbahn.pdf). Sie zeigt m.E. sehr eindrucksvoll, wie schwierig „ethisch korrekte“ Entscheidungen sind – und das gilt auch für alle anderen Anwendungen.
Wenn wir zu einer gemeinsamen Basis kommen, dass einseitige Propaganda nicht hilfreich ist, haben wir einen wichtigen Schritt gemacht um zielgerichtet eine vernünftige Diskussion zu führen und zu vernünftigen Lösungen zu kommen.
Liebe Frau Noe,
lesen Sie das von Herrn Prof. Merbach und mir verfasste Buch: „Nachhaltige Landwirtschaft mit technologischem Fortschritt. Warum konventioneller und ökologischer Landbau effizienter und nachhaltiger werden müssen“. Ich denke, werden Sie weitere Ahas haben.
Herzliche Grüße
Dr. Eberhard Schulze
Kommt immer drauf an, unter welchen Bedingungen etwas seine Wirkung entfalten kann.
Intelligenz ist ja per se auch nicht immer schlecht. Nur in der wirtschaftlichen Zwangsjacke wird sie unerträglich und potentiell gefährlich. Und weil die Politik am wirtschaftlichen Tropf hängt, wird niemand ernsthafte Einschränkungen alles Machbaren erwarten.
Es gibt keine Option des bewussten Nichtmachens, der Unterlassung usw. Das schlechte Bauchgefühl ist also nicht von ungefähr. Die Erfahrung, dass Fortschritt zunehmend überflüssige Menschen, statt ein gutes Leben verspricht, trägt seinen Teil bei. Die genmanipulierte Gesellschaft wird sich im Wettbewerb um Gewinne und Wachstum keine Schwächen erlauben können. Berechenbare Einheit, statt freie Vielfalt und der Bauch grummelt zu Recht unaufhörlich.
Ich finde, der Artikel trifft eine wichtige Annahme, nämlich die, Gentechnik als Werkzeug darzustellen. Damit eröffnet sich eine sachliche Debatte.
Auch richtig ist, dass in Deutschland sich viel um das Wort alleine dreht. Hier fehlt jedoch noch eine Differenzierung der globalen Debatte. Andere Teile der Debatte drehen sich um Ökonomie und Ökologie.
Patente auf Saatgut und dazugehörige Geschäftspraktiken fahren vielerorts Kleinbauern an den Rand der Existenz. Großflächige Anwendung von Herbiziden und Pestiziden tun dasselbe mit der Artenvielfalt.
Das Thema Gentechnik ist nicht ohne Zusammenhang mit Ökonomie und Ökologie betrachtbar.
Wenn Gentechnik ein Werkzeug ist, dann lautet die Frage wieder: Was hilft den Kleinbauern, was hilft dem Boden, was dem Grundwasser und was der Artenvielfalt. Von dieser Warte verbietet sich die Lobby der Konzerne hinter Saatgut. Wenn Kleinbauern wieder ihre eigenen Saatgut-Banken pflegen, dann lässt sich auch das Wort Gentechnik wertfrei verwenden.
Die „grüne“ Gentechnik im Agrarbereich ist fest in den Händen von Unternehmen wie BAYER/Monsanto, die seit 30 Jahren die Lösung aller Probleme der Welternährung versprechen und genau das Gegenteil produzieren. Der Anbau gentechnisch veränderter Ackerpflanzen hat zu einer Zunahme der Spritzmittel und zur Zunahme von Giftresistenzen bei den problematischsten Arten geführt. Die Großunternehmen haben nicht Weltverbesserung sondern Gewinnmaximierung auf der Agenda: patentiertes steriles Saatgut, das jährlich neu gekauft werden muss und das viele Maschinen und maßgeschneiderte Spritzmittel erfordert, die ebenfalls gekauft werden müssen.
Wenn kleine Unternehmen innovative Erfindungen machen, werden sie von Großunternehmen aufgekauft, die Patente einsammeln, um sie selbst zu verwerten oder sie der Konkurrenz vorzuenthalten.
Vor diesem Hintergrund finde ich es gefährlich, von positiven „demokratischen“ Potenzialen von CRISPR/CAS zu reden, denn positive Entwicklungen werden in den Händen von Großkonzernen landen, negative Effekte aber (verpfuschte Organismen mit unkalkulierbaren Eigenschaften) können/werden im Freiland landen.
Natürlich bietet Gentechnik spannende Optionen. Wir müssen aber ERST die Gesetzeslandschaft anpassen und BAYER & Co entmachten, BEVOR darüber gesprochen werden kann, Gentechnik salonfähig zu machen.
Es stimmt, viele Menschen lehnen Gentechnik aus dem Bauch heraus ab, aber ist doch okay. Mensch kann nicht zu jedem Thema Experte sein. Es gibt sehr viele knallharte Gründe, warum Gentechnik unter den aktuellen Bedingungen in Deutschland und Europa NICHT frei gehandhabt werden darf. Der EuGH hat ja jüngst zur Gentechnik geurteilt, und dieses Urteil ist – solange BAYER/Monasanto & Co weiter so agieren dürfen wie bisher – ein Segen.
Über eine wie auch immer geartete Liberalisierung der Gentechnik im Agrarbereich zu reden verschreckt die Mehrheit der Menschen, die darauf vertrauen, dass zumindest die GRÜNEN die Fahne gegen gefährliche neue Entwicklungen hoch halten.
Und solange nicht grundsätzlich sichergestellt ist, dass die Agrarindustrie die Gentechnik nicht weiter allein zur Gewinnmaximierung und Beherrschung der Landwirt*innen nutzt, ist jedes Reden über „aufzulösende Fronten“ gefährlich. Wir dürfen den zweiten Schritt nicht vor dem ersten tun. ERST muss die Agrarindustrie in gesellschaftlich sinnvolle Schranken gewiesen werden, DANN kann man über die Potenziale neuer Techniken reden.
Sehr viele Infos zu BAYER/Gentechnik/Landwirtschaft gibt es hier: http://cbgnetwork.org/1.html
GRÜNE Grüße
Rainer B
Werfen wir einen Blick in die erfolgreichen Grünen-Landtagswahlprogramme aus Bayern und Hessen, die dazu klare Aussagen treffen:
Bayern
„Wir stehen für gentechnikfreie Landwirtschaft. Den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen lehnen wir ab. Lebensmittel für Menschen und Tiere, die unter Einsatz gentechnisch veränderter Organismen hergestellt wurden, müssen klar und deutlich gekennzeichnet sein. Das gilt auch für neue Gentechnikverfahren wie Genome Editing (z. B. CRISPR/Cas). Diese Verfahren sind als Gentechnik einzustufen und auch als solche zu regulieren. Um die Importe von genveränderten Eiweißfuttermitteln, die in Südamerika unter ethisch und ökologisch höchst problematischen Bedingungen produziert werden, zu reduzieren, werden wir den heimischen Anbau gentechnikfreier Eiweißpflanzen durch entsprechende Förderung deutlich ausweiten. Das ist auch gut für das Klima.“
Zu finden auf S. 17, Link: https://gruene-bayern.de/wp-content/uploads/2018/07/B90-DieGruenen-Bayern_Landtagswahlprogramm-2018_BARRIEREFREI.pdf
Hessen
„Nur mit starken GRÜNEN steigt der Anteil der ökologisch bewirtschafteten Flächen auf 25 Prozent, bleibt unsere vielfältige bäuerliche Landwirtschaft erhalten und haben Glyphosat und Gentechnik in unseren Lebensmitteln nichts zu suchen.“ (…) „Wir lehnen den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen ab und unterstützen Initiativen zur Erzeugung gentechnikfreier heimischer Eiweißfuttermittel.“ (…) „Wir werden gentechnikfreie Landwirtschaft auf landeseigenen Flächen in Hessen weiterhin sicherstellen und uns auf Bundesebene für ein bundesweites und europaweites Anbauverbot aller gentechnisch veränderten Pflanzen einsetzen.“
Link: https://www.gruene-hessen.de/partei/files/2018/09/Regierungsprogramm-2018-Web.pdf
Gentechnikfreie Grüße!
Philipp
Schon richtig, daß Hessen und Bayern bzw. ihre jeweiligen Landes Grünen Gentechnik programmatisch ablehnen. In 14 weiteren Bundesländern auch. Thema auf diesem Portal und in diesem chat ist es aber, ob es dabei bleiben soll. Oder ob man eine differenzierte, wissenschaftsbasierte Diskussion führen kann. Es könnte z.B. dazu kommen, neue Gentechnik neu zu bewerten, dann aber mit Rücksicht auf „Volkes Stimme“ diese Erkenntnis nicht gleich in den Mittelpunkt der nächsten BT Wahlkampfschlacht zu rücken, aber in internen Parteiprotokollen, Strategiepapieren etc. für eine kommende, verantwortungsvolle Agrarpolitik der Grünen zu berücksichtigen.
Ein großes Problem ist eben, dass die Gentechnik und die gesamte Molekulargenetik als Disziplin missbraucht wurden. Die Gentech-Pflanzen wurden vor allem auf höchst problematische Agrarsysteme optimiert (Glyphosatresistenz) und die bekannten Unternehmen haben sich rücksichtslos die Eigentumsrechte an unseren Kulturpflanzen angeeignet.
Hier haben sich die Wissenschaft und die Züchtungsunternehmen gemeinsam schuldig gemacht. Resultat ist ein massiver Vertrauensverlust der Öffentlichkeit wenn es um moderne Biologie und Gentechnik geht.
Wenn Genome Editing ernsthaft zum Guten eingesetzt werden soll, erfordert dies ein Höchstmaß an Transparenz (Genome Editing = Gentechnik), Beschränkung der Eigentumsrechte, Regulierung von Gesundheits- und Umweltrisiken sowie ein Einsatz der Technik für primär ökologische Zuchtziele. Dies ist aber alles unwahrscheinlich so lange die Züchtung von privaten Unternehmen dominiert wird.
Bitte die Schamlose Unterstellungen „Bauchgefühl“ und „wenig Links“ unterlassen. Das riecht verdammt nach Nebelkerze.
a) ein wissentschaflich fundierter Link ist mehr wert als viele firmenfinanzierte Studien
b) wer welches Bauchgefühl hat, ist für die Diskussion recht unerheblich
Desweitern geht beim Argumentezählen der Punktsieg klar an die Gentechnik-Gegner. Nur beim Versprechen von irgendwas führen die Gentechnik-Befürworter. Und auch beim Versprechen brechen.
Ich hätte da noch einige Argumente,die ich vermisse
1) Wer haftet für die Schäden, die durch Gentechnik entstehen ? Sind die Hersteller dafür versichert und wie hoch ?
2) Alle habe Angst vor einer neuen spanische Grippe Epidemie. Zum Glück treten so problematische Mutationen aber sehr sehr selten auf. Gentechnik ist demgegenüber ein ultimativer Brandbeschleuniger. Wir können die Menschheit retten mit Gentechnik; aber auch zerstören. Denn obwohl Gentechnik auf Mutation basiert, ist der Qualitätssprung so immens, dass hier von eine neuen – unbekannten- Qualität gesprochen werden muss. Wie natürliche Radioaktivität vs Atombombe. Bitte bitte: klärt erst die Grundlagen bevor ihr am Erbgut rumexperimentiert. Bisher ist es ja nicht einmal gelungen die einfachsten Zellfunktionen richtig zu verstehen.
Mit gewisser Freunde und leiser Hoffnung erkenne ich (endlich) erste Risse in der bei den Grünen bisher fest betonierten Haltung zur Gentechnik. Die fundamentalistische Ablehnung moderner molekularbiologischer Methoden (für mich seit Jahren personifiziert durch Künast und Ebner) ist ein intellektuelles und politisches Armutszeugnis für eine Partei, die doch so sehr auf wissenschaftliche Evidenz pocht – zumindest in Klima-Fragen, wenn es zur politischen Generallinie passt (die Baustelle ‚Homöopathie‘ wäre hier auch noch ein nettes Thema).
Die offizielle Parteiposition ist rückwärtsgewandt, ignoriert wissenschaftliche Fortschritte und bedient ein – zugegeben populäres – unrealistisch romantisierendes Bild von ‚Natürlichkeit, ‚organischer Landwirtschaft‘ etc. In der öffentlichen Diskussion wird die wissenschaftliche Ignoranz des größten Teils der Öffentlichkeit und die in der deutschen Bevölkerung verbreitete Risikoaversion (‚German Angst‘) auf – und das sage ich ganz bewusst – auf klassisch populistische Art und Weise (wie wir sie ja bei der ‚anderen Seite‘ zurecht anprangern) zur Stimmungsmache und zum Stimmenfang genutzt. Es geht nicht um eine rationale Nutzen-Risiko-Bewertung sondern um ‚Bedenkenträgertum‘ oder sogar um eine quasi-religiöse Verdammung jeglicher Gentechnik – bei gleichzeitiger Romantisierung der Bio-Landwirtschaft. Die zur Rechtfertigung der Programmposition oft erwähnte Ablehnung von ‚Gentechnik‘ in der Bevölkerung (was immer dort darunter verstanden wird) ist zum Teil durchaus heuchlerisch: wohl wissend, dass hierzulande ein durch die Grünen mit-verschuldetes politisches und emotionales Klima auch schon gegen Forschung (Freilandversuche) besteht, ist ein nicht unerheblicher der Teil der berühmt-berüchtigten ‚öffentlichen Meinung‘ selbst herbei-geredet/-geschrieben worden (anderswo nennt man das treffend ‚fear mongering‘). Durch die Überzeichnung von vermeintlichen Risiken und der intellektuell unredlichen Überbetonung des Vorsorgeprinzips (die Abwesenheit von etwas, das nicht existiert, kann auch nie bewiesen werden) hat man ein selbst konstruiertes Verhinderungsargument! Es ist unbestritten, dass es hohen Forschungsbedarf gibt, gerade auch für die neuen technischen Möglichkeiten. Aber es gibt aber auch seit mehr als 2 Jahrzehnten global unzählige Projekte und Studien zur Biosicherheit von GMOs. Keine seriöse Studie hat jemals belastbare Hinweise auf spezifische und signifikante Gefahren von GMO-Produkten für menschlichen Konsum gezeigt.
Die Grünen sollten auch die ‚Nibelungentreue‘ zu manchen NGOs oder zu fragwürdigen ‚Instituten‘ wie ‚Testbiotech‘ in diesen Fragen kritisch überprüfen…
Je stärker das Gewicht der Grünen auch auf Bundesebene wird, umso höher wird auch die politische Verant-wortung und umso dringender muss der anti-wissenschaftliche, ideologischen Tunnelblick in diesem Themengebiet aufgebrochen werden.
Diese Zeilen schreibt ein langjähriges Mitglied (länger schon als es die jetzige Partei gibt), von Haus aus gelernter Biowissenschaftler, der schon seit Jahren an dieser Position der Partei leidet… und den Austritt eigentlich nur aus Mangel an Alternativen unterlassen hat.
https://www.ev-akademie-boll.de/fileadmin/res/otg/611506-Ziegler.pdf