Die Angst vor Veränderung

„Fear is the path to the dark side. Fear leads to anger. Anger leads to hate. Hate leads to suffering.“
– Yoda, Jedi Master

Die Angst vor Veränderungen ist menschlich. Jeder kennt das: ob beim Haareschneiden, beim Umzug in eine neue Stadt oder beim ersten Tag im neuen Job – es behagt uns nicht, unbekanntes Gebiet zu betreten. Am gruseligsten sind für uns wohl Veränderungen am eigenen Körper. Dabei wäre die Entstehung komplexer und vielfältiger Lebensformen auf dem kleinen Planeten Erde ohne ständige, biologische Veränderungen wohl gar nicht denkbar gewesen. Aber eins nach dem anderen.

Wir sind nicht allein – die Endosymbiontentheorie. Fangen wir doch mal hiermit an. Echt ne ziemlich abgefahrene Geschichte: schon vor rund 150 Jahren haben Wissenschaftler mikroskopische Strukturen in Zellen von Tieren und Pflanzen entdeckt, die erschreckende Ähnlichkeit mit Bakterien hatten. Für die Leute damals, die eine Alien-Invasion eher von oben erwartet hatten, sicherlich ein Schock. Später wurde dann klar, dass diese Strukturen Mitochondrien (die berüchtigten Kraftwerke der Zelle) und Chloroplasten (enthalten das grüne Chlorophyll) sind und tatsächlich ziemlich wahrscheinlich mal Bakterien waren, die von unseren Vorfahr-Glibber-Zellen (ja, das ist der Fachbegriff) aufgenommen wurden. Jetzt wohnen sie in unseren Zellen und chillen: die Verantwortung fürs Überleben haben sie an uns abgegeben (über 95 % des mitochondrialen Erbguts hängt jetzt in unseren Zellkernen rum) und was ist der Dank dafür..?! Ach ja, Energie…

Tatsächlich haben wir uns mit den kleinen Rackern zwei der wichtigsten chemischen Reaktionen ins Boot geholt: die oxidative Phosphorylierung und die Photosynthese – cool, was? Die bringen nicht nur hohe Punktzahlen bei Scrabble, sondern ermöglichen uns auch ein Leben als Mehrzeller*innen, in dem die Körperzellen sich Aufgaben teilen, sich spezialisieren und aus Luft, Liebe und Licht Zucker herstellen können. Also: Ein Dank an unsere inneren Aliens! Von den Fremdartigen, die unseren Darm bevölkern (dem so genannten Mikrobiom) fange ich gar nicht erst an. Aber wo wir gerade bei „fremden Arten“ sind…

Schwein gehabt – Rettung durch artfremde Organtransplantation. Dass immer noch zu wenige von uns einen Organspendeausweis haben, ist bekannt. Unglaublicherweise sterben jeden Tag drei Menschen allein in Deutschland aufgrund von fehlenden Spenderorganen. Für manche gesundheitliche Probleme bedienen wir uns jedoch schon seit einiger Zeit im Tierreich: biologische Herzklappen, Haut für den Verschluss hochgradiger Verbrennungen, Kollagen-Membranen zum Knochenaufbau – können wir alles vom Schwein oder Rind „ausleihen“!

Das ist für die betroffenen Menschen ziemlich cool. Im Moment wird im Bereich der Xenotransplantation, also der Fremd-Verpflanzung, daran geforscht, auch ganze Organe wie Herzen oder Bauchspeicheldrüsen in Tieren aus menschlichen Stammzellen „herzustellen“. Kurz gesagt: Auch hier sind diese ominösen, „artfremden“ Eigenschaften sehr nützlich – nicht zuletzt, weil wir dem Schwein in Wirklichkeit (genetisch) gar nicht so unähnlich sind. Ach so, apropos Gene…

Der neueste Shit – Gentransfers als Updates der Natur. In der Schulgenetik lernen wir die Mendelschen Regeln, und dass so genannte Mutationen kleine, aber feine Unterschiede machen. Lange hat man nur diese meist spontan auftretenden, „kleinen“ Veränderungen als treibende Kraft der Evolution angesehen. Inzwischen dämmert es uns, dass die Übertragung „artfremder“ DNA, also zum Beispiel von Bakterien auf Pflanzen, einen mindestens genauso großen Beitrag zu Entstehung der Arten geleistet hat. Immer mehr „fremde“ Gene werden in Pflanzen gefunden, die wir tagtäglich nutzen (Nelke, Süßkartoffel, Kamelie, Heidelbeere, Erdnuss, Walnuss, Hopfen…).

Und es kommt noch fetter: in einer internationalen Studie wurde kürzlich gezeigt, dass der Landgang der Pflanzen vermutlich erst dadurch passieren konnte, dass sich prähistorische Algen Austrocknungs-Gene von Bodenbakterien abgeguckt haben! Besser hätte Hollywood es nicht schreiben können… es scheint also, dass die Übertragung von Genen zwischen verschiedenen Lebensformen eher so eine Art neues System-Update im Kampf ums Überleben, aber auch für die Erschließung neuer Lebensräume war. Ist ja auch irgendwie logisch, dass große Sprünge (VERÄNDERUNGEN) eher durch neuartige Werkzeuge entstehen, als durch punktuelle Modifikation – ähnlich wie eine neue Haarfarbe weniger bringt als eine Brille. Wenn man schlecht sieht, mein ich.

Wir müssen uns also nicht nur mit der Erzeugung von Mutationen, der so genannten Mutagenese, auseinandersetzen (die Chancen der neusten Technologien hat Dominik ja in unserem CRISPR-Adventskalender ausführlich beschrieben), sondern auch mit der Transgenese. Da der Gentransfer zwischen den Arten ebenfalls ein natürlicher Prozess zu sein scheint, müssen wir da nicht unseren Begriff von Natürlichkeit überdenken?

Okay krass – und jetzt? Während wir uns im Streit um die Gentechnik also seit Jahrzehnten gezüchtete Tomaten an den Kopf werfen, gibt es da draußen schon lange megaschlau entwickelte, „veränderte“ Pflanzen – nach derzeitiger Definition natürliche GVOs (gentechnisch veränderte Organismen) – die gecheckt haben, wie’s läuft. Das Gentechnikgesetz definiert einen GVO als Organismus, „[…] dessen genetisches Material in einer Weise verändert worden ist, wie es unter natürlichen Bedingungen durch Kreuzen oder natürliche Rekombination nicht vorkommt […]“ (§3, GenTG). Nachdem wir nun gelernt haben, dass Aliens in unseren Zellen wohnen, Schweine- und Rinder-Ersatzteile in unseren Körper verbaut werden und unser Gemüse schon lange die krasseste Hybridtechnologie der Natur zu fahren scheint, frage ich mich ernsthaft, wo das Problem liegt.

Genetische Veränderungen sind nicht nur natürlich, sondern auch der Grund für die Vielfalt in unserer Natur und auf unseren Tellern!

Dennoch sind GVOs in Deutschland und der EU nach wie vor streng reguliert und bleiben ein Exportprodukt für aufgeschlossenere Erdteile – vermarktet allein von den großen Playern, die sich die teure Zulassung leisten können.

Wir wollen „rein“ bleiben. Wir dulden keine „artfremden“ Gene in unserem Essen. Wir wollen eine strikte Kennzeichnung „veränderter“ und „unnatürlicher“ Organismen. Na, schon mal gehört..?

Es wird Zeit, dass wir unseren Wortschatz auffrischen und umdenken.

Ich stehe auf meinem Balkon und freue mich schon auf die Zucchini- und Erbsenvorzucht, die ich bald wieder starten kann. Dieses Mal mit mehltau-resistenten Sorten. Werde jedes Jahr besser im Gärtnern. Gut, dass das für mich nur ein Hobby ist – und nicht die Lebensgrundlage meiner Familie.

Als Wissenschaftler frage ich mich: Sollten wir uns nicht mal fragen, was in der Natur alles möglich ist – und von ihr lernen?

Fotos & Illustrationen (c) David Spencer, 2020


Mehr Infos, bitte!

TRANSPARENZ in der GENTECHNIK: www.transgen.de
SCIENCE SLAM: www.youtube.com/watch?v=qyRGG_ij1Qk
GENES BORROWED FROM BACTERIA ALLOWED PLANTS TO MOVE TO LAND: www.sciencedaily.com/releases/2019/11/191114115928.htm<


Der ganz harte Stoff:

Martin WF, Garg S, Zimorski V. 2015 Endosymbiontic theories for eukaryote origin. Phil. Trans. R. Soc. B 370: 20140330. https://doi.org/10.1098/rstb.2014.0330

Statistiken zur Organspende für Deutschland und Europa. https://www.organspende-info.de/zahlen-und-fakten/statistiken.html, Zugriff: 03.01.2020, 12:00 Uhr.

Wickell DA & Li FW. 2019 On the evolutionary significance of horizontal gene transfer in plants. New Phytol. 225: 113-117. https://doi.org/10.1111/nph.16022

Matveeva TV & Otten L. 2019 Widespread occurrence of natural genetic transformation of plants by Agrobacterium. Plant Mol. Biol. 101: 415-437. https://doi.org/10.1007/s11103-019-00913-y

Cheng SF et al. 2019 Genomes of Subaerial Zygnematophyceae Provide Insights into Land Plant Evolution. Cell 179: 1057-1067. https://doi.org/10.1016/j.cell.2019.10.019


 

David Spencer
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9 Kommentare

  1. Das ist ja mal eine frohe und glaubwürdige Botschaft, auch für Nicht-Biologen und Skeptiker, der Genforschung den Rücken zu stärken, ja sich daran zu erfreuen und dankbar zu sein, dass die hochentwickelte menschliche Ratio über falsch-gewertete, moralisierende Umwege endlich im Schulterschluss mit der Natur das zum Überleben dringend erforderliche System-Update einleitet. Danke für diese wunderbare, mutige und kurzweilige Kolumne zu dem sehr umstrittenen Thema !

  2. Sehr geehrter Herr Spencer,
    zufällig bin ich auf Ihren Kommentar zur „Natürlichkeit“ genetisch veränderter Organismen gestoßen. Er gefällt mir sehr gut und Ihre Kritik an einem naiven – also: statischen – Verständnis der Entstehung komplexer und vor allem vielfältiger Lebensformen finde ich völlig berechtigt. Und dass Gentransfers als Updates der Natur gelesen werden können, leuchtet mir ein. Wobei natürlich auffällt, dass das „Leben“ hier vor allem in der Sprache der Informationstechnologie beschrieben wird. Das kann man natürlich auch anders machen und deshalb – so meine These – hält sich die Rede von der „Natürlichkeit“ der Natur so hartnäckig. „Natur“ ist eben mehr als nur ein biologisch beschreibbarer Komplex – was ein Blick in die traditionsreiche philosophische Literatur seit ihren Anfängen zeigt (vgl. M. Dürnberger: Natur im Widerspruch. Die Mensch-Natur-Beziehung in der Kontroverse um die Grüne Gentechnik, 2019). Das Problem ist also nicht, dass es die „Natürlichkeit“ nicht gibt – wir zehren mehr oder weniger alle von diesem „Konzept“, sondern die unzulässige Gleichschaltung von biologischer und – wenn man so will – lebensweltlicher Natur. Dem Satz „Genetische Veränderungen sind nicht nur natürlich, sondern auch der Grund für die Vielfalt in unserer Natur und auf unseren Tellern!“ würde ich zustimmen. Aber die Diskussion entspinnt sich ja nicht an den genetischen Veränderungen qua Evolution, sondern durch die Frage nach der Verantwortung gezielter menschlicher Eingriffe. Mit Verweis auf die Unveränderlichkeit der genetischen Natur kann man diese – wie Sie zu Recht sagen – nicht problematisieren. Aber es scheint in unserer menschlichen Natur zu liegen, dass wir nach Rechtfertigungen suchen, die selber moralisch und eben nicht „natürlich“ im biologischen Sinne begründet sind. Also: Wenn viele Menschen von „natürlich“ reden, meinen sie „natürlich“ nicht das biologische Konzept. Und doch verdecken sie bisweilen damit, dass die moralischen Gründe nicht wie ein Naturgesetz daherkommen, sondern sich in ihrer Geltung einem gesellschaftlichen Konsens verdanken, den man natürlich problematisieren kann. Auch die moralische „Natur“ ist – wie die evolutionäre – nicht unveränderlich. Deshalb bin angesichts der neuen Technologien des Genome Editing auch der Meinung, dass wir über Gentechnik neu diskutieren müssen. Wer im Rekurs auf „Natürlichkeit“ diese Diskussion abblocken will, der hat nicht verstanden, dass wir mit diesem Konzept im Grunde nach etwas suchen, was eher auf Vertrauen angesichts der „Angst vor Veränderung“ abzielt. Dieses Vertrauen ist aber nicht jenseits der Wissenschaft zu finden, sondern nur, soweit es durch sie informiert ist. Auch wenn dann noch etwas Anderes dazukommen muss – gerade weil in der Natur so Vieles möglich ist.
    – Sorry, wegen der Länge des Kommentars. Ihr Artikel war eben inspirierend zu lesen. Danke dafür!

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