Breaking the resistance – Die Zukunft der Antibiotika

Eine Entzündung, der Hals brennt, die Bronchien sind vereitert: Bakterien machen uns das Leben schwer. Früher war das oft ein Todesurteil, aber seit über 70 Jahren ist es meist kein großer Grund zur Sorge. Die Ärztin oder der Arzt verschreibt ein Antibiotikum und nach einigen Tagen ist der Spuk meist wieder vorüber. Wir sind es gewohnt in einer Welt zu leben, in der bakterielle Erkrankungen nicht mehr den Schrecken von einst haben. Aber seit Jahren häufen sich die Meldungen über Antibiotikaresistenzen oder über Erkrankungen durch MRSA (Methicillin-resistenter Staphyllococcus aureus) und andere sogenannte Krankenhauskeime. Irgendetwas scheint an dieser heilen Welt zu nagen, denn das Wundermittel Antibiotikum gegen unsere bakteriellen Plagegeister versagt immer häufiger. Weltweit steigt die Anzahl tödlich verlaufender Erkrankungen durch resistente Erreger. Die WHO prognostiziert, dass 2050 jährlich 10 Millionen Menschen weltweit an den Folgen von Erkrankungen ausgelöst durch antibiotikaresistente Bakterien frühzeitig versterben werden und diese somit Krebs als häufigste Todesursache ablösen [1]. Was ist also schiefgelaufen, seit wir das Licht des antibiotischen Zeitalters erblickten und was hat das mit Landwirtschaft zu tun?

Doch bevor wir uns in das Getümmel stürzen können, was sind Antibiotika eigentlich genau? Es handelt sich per Definition um synthetische, halbsynthetische oder biologische Stoffe, die Mikroorganismen abtöten oder in ihrer Vermehrung hemmen. Im heutigen Sprachgebraucht bezeichnet der Begriff in der Regel Sunstanzen, die gegen krankheitserregende Baktrien eingesetzt werden. Die genutzten Wirkstoffe zielen auf verschiedenste Ziele in den bakteriellen Zellen, z. B. auf ihre Zellwand, die Proteinherstellung oder die DNA-Vervielfältigung. Wir unterscheiden hierbei grundsätzlich zwischen bakterien-abtötenden Substanzen, sogenannten Bakteriziden und solchen die das bakterielle Wachstum hemmen, den Bakteriostatika.

Die Büchse der Pandora

Unsere kurze Geschichte der Antibiotika beginnt 1899. Damals setzten die deutschen Ärzte Rudolf Emmerich und Oscar Löw einen Extrakt des Bakterium Pseudomonas aeruginosa ein, ohne genau zu wissen, um was es sich handelte. Sie zeigten, dass das Pyocyanase genannte Medikament gegen eine Vielzahl von Erregern wirkte. Für den Menschen war es nur leider giftig und verschwand deshalb bald  darauf wieder in den staubigen Publikationslisten [2]. Der Traum Bakterien endlich ein effektives Mittel entgegenzusetzen blieb aber. Auch der Medizin-Nobelpreisträger Paul Ehrlich träumte vom perfekten Arzneimittel der “magischen Kugel”, die einzelne Krankheitserreger ausschalten konnte, aber den Menschen schont. Eine Utopie in einer Zeit in der viele der typischen Medikamente oft genauso gefährlich waren, wie die Krankheit selbst. Seine Forschung trat um die Jahrhundertwende eine Suche los nach einem Medikament das Syphillis besser bekämpfte als hochgiftige Quecksilbersalze. Damit begann er das erste Screening-Verfahren, also die systematische Suche nach einem passenden Wirkstoff aus einer Vielfalt von (synthetischen) chemischen Substanzen. Mit Atoxyl und Salvarsan (bis Penicillin das bedeutendste Medikament gegen Syphilis) fand er zwar nicht wirklich gesunde Alternativen, immerhin waren es Arsenverbindungen, aber die Idee war in der Welt wie solche Medikamente gefunden werden können. 1935 entdeckte schließlich Gerhard Domagk die erste breit-eingesetzte synthetische Klasse von Antibiotika, die Sulfonamide, die bis heute genutzt werden [2]. Hier beginnt auch schon die erste Tragödie dieses Rückblicks, denn die Resistenz gegen Sulfonamide ist bis heute eine der am häufigsten auftretenden Resistenzen. Den entscheidenden Durchbruch lieferte dann 1928 Alexander Fleming mit der berühmten zufälligen (Wieder-)Entdeckung von Penicillin. Die Entdeckung war jedoch nicht so überraschend, wie es oft in Lehrbüchern erscheint. Schon 1927 veröffentlichte der Costa-Ricanische Wissenschaftler Clodomiro Picado Twight seine Ergebnisse über die Wachstumshemmung durch Penicillin [3] und schon 1873 hatte der österreichische Chirurg Theodor Billroth die hemmende Wirkung beobachtet [4]. Fleming war auch nicht ausschlaggebend für die Nutzung, denn er erkannte nicht das pharmazeutische Potential was dort auf seinen Agarplatten gedieh. Dies erkannten erst 1938 Howard Florey, Ernst Chain und Norman Heatley, die 1941 die erste klinische Studie begannen [4]. Ab 1942 begann nun die medikamentöse Nutzung an Soldaten der Alliierten. Dieses Mal waren es also keine schlauen Chemiker*innen und ihre perfektionierten Screeningverfahren, denen man hierfür danken konnte, sondern ein Schimmelpilz: Pencillium notatum.

Damit begann das goldene Zeitalter der Antibiotika, das von 1950 bis 1970 anhielt und seit dem keine neuen Wirkstoffklassen entdeckt wurden. Nur neue Variationen der Wirkstoffe, womit wir bei der zweite Tragödie des antibiotischen Zeitalters wären. [2] Hinzu kommt eine gefährliche Fehleinschätzung: Mit der industriellen Produktion von Penicillin galt es als Wundermittel, kaum Nebenwirkung hohe Effektivität. Es schien als wäre Penicillin, die magische Kugel von der Ehrlich geträumt hatte. Zwar warnten schon früh Wissenschaftler*innen, dass Bakterien die Wirkung von Penicillin aufheben könnten, aber die Nutzung von Salvarasan war 40 Jahre ohne ein solches Problem verlaufen. [6] Daher prognostizierte man, dass Resistenzen gegen Penicillin keine realistische Gefahr darstellen würden. Die Zukunft sollte uns eines Besseren belehren.

Der Kampf ums Überleben

Was Florey, Chain und Heatley mithilfe von Fleming nutzbar machen sollten, öffnete die Tür hin zu einem uralten Wettrüsten der mikrobiellen Welt. Nicht nur schlaue Menschen wie Ehrlich hatten das Screeningverfahren für sich entdeckt, die Evolution war uns bereits 4 Milliarden Jahre zuvorgekommen. Es mag für uns nicht sichtbar sein, aber überall kämpfen Mikroben um ihr Überleben. Anders als die vielzelligen Riesen um sie herum, haben sie aber keine Zähne oder Krallen, um sich zur Wehr zu setzen und damit wird ihre chemische Leistung zur besten Strategie, um sich die Plätze am Buffet der Evolution zu sichern. Genauso haben Bakterien und Pilze die Entwicklung von Antibiotika über Jahrmilliarden perfektioniert und eine große Vielfalt von Stoffen erschaffen, wobei ihre tatsächliche Bedeutung für diese Mikroorganismen immer noch nicht genau geklärt ist [7]. Alleine bei den Actinomyceten, die zu den bedeutendsten Antibiotika-Produzenten gehören, vermutet man immer noch zig tausende unbekannte Substanzen. [8]

© Anna Vanessa Kaiser

Auch Resistenzen sind keine neue Entwicklung. Tatsächlich konnten Forscher*innen den Ursprung eines Resistenz-Gens um 100 Millionen Jahre zurückdatieren. [9] Während die einen Bakterien Antibiotika auspacken, setzen andere eben auf Resistenzen. Wem der Giftcocktail der Nachbarn nichts anhaben kann, der vermehrt sich schneller. Zwei Wege führen zu Resistenzen: der Austausch von Genen und Mutation. Bakterien vermehren sich im Vergleich zu uns trägen Vielzellern extrem schnell. Das Lieblings-Haustier der Mikrobiologen, Escherichia coli, braucht unter idealen Bedingungen gute 20 Minuten um seine Zellzahl zu verdoppeln. Da aber bei jeder Zellteilung auch die DNA komplett kopiert werden muss, kann es auch schneller zu „Kopierfehlern“ kommen. Mikroorganismen müssen hierbei nicht den komplizierten Weg über die sexuelle Fortpflanzung nehmen und so werden Veränderungen in kürzester Zeit an eine große Anzahl Nachkommen weitergegeben. Damit können sich Bakterien an ihre Umwelt relativ einfach anpassen und auch an die Einwirkung von Antibiotika, da nur die resistenteren Bakterien überleben. Oft sind es aber nicht Mutationen, die zu Resistenzen führen, sondern eine Art bakterielles Skillsharing: Bakterien können Gene untereinander austauschen. Einige Bakterien nehmen DNA aus der Umgebung auf, andere können gezielt ringförmige DNA-Stücke tauschen, sogenannte Plasmide. So verbreiten sich Resistenzen schnell durch eine ganze Population. Eine Resistenz ist allerdings nicht unbedingt immer nützlich für ein Bakterium. Viele Resistenzen sind energieaufwändig und bringen seinem Träger eine Menge Nachteile im Vergleich zu seinen nicht-resistenten Verwandten. Das bedeutet, nur solange die entsprechenden Antibiotika in ausreichender Menge vorkommen, bieten diese Resistenzen wirklich einen Vorteil [10]. Bei Resistenzen aber nur das einzelne Bakterium im Blick zu haben, reicht aber auch nicht. Mikroben sind gesellige Organismen und leben in komplexen Gemeinschaften zusammen, etwa als Biofilme auf Oberflächen oder im Mikrobiom des Darms. Populationen von Mikroben arbeiten zusammen, so muss nicht jedes Bakterium resistent sein. Einige wenige hoch-resistente Einzelbakterien genügen teilweise, um die ganze Population mit einer höheren Widerstandskraft auszustatten. Gerade wenn von den Zellen freigesetzte Stoffe die Resistenz ermöglichen. Dann genügen wenige Bakterien, um eine ganze Population zu schützen. Die wenigen resistenten Bakterien haben zwar einen Nachteil, aber durch die Interaktion gewinnt die ganze Population dabei. [11] Selbst nicht-krankheits-auslösende Bakterien können auf diese Weise Krankheitserreger vor Antibiotika-Einwirkung schützen. Eine einzelne “magische Kugel”, die ein Ziel trifft, wie sie sich Ehrlich wünschte, ist wohl am Ende nicht genug.

Vom Stall bis auf den Teller?!

Die Menschheit und ihre Nutztiere teilten schon immer ein verhängnisvolles Verhältnis, was ihre krankheitserregenden Untermieter angeht. Nutztiere blieben stetiges Reservoir von Erregern, während die Menschheit gleichzeitig lange lebensnotwendig auf ihre Produkte angewiesen war und vielerorts auch heute noch ist. So ist es auch nicht verwunderlich, dass die Nutzung von Antibiotika in der Landwirtschaft genauso alt ist, wie die humanmedizinische. 1938 wurden erstmals Sulfonamide in der Landwirtschaft vermarktet, 1940 folgten biologische Antibiotika wie Gramicidin und 1943 Penicillin [12]. Die antibiotische Revolution der Landwirtschaft schritt fort als man 1949 feststellte, dass die Zufütterung von Antibiotika ein Plus von 10-15% bei der Gewichtszunahme bewirkte [13]. Es begann auch in der Landwirtschaft eine “goldene Ära” der Antibiotika-Nutzung. Antibiotika waren überall: als Konservierungsstoffe auf Meeresfrüchten, Wachstumsfaktoren in der Tierhaltung oder als Pflanzenschutzmittel. Dieser Trend schwappte aus den USA nach Europa über und 1964 enthielten 80% der in West-Deutschland vermarkteten Futtermischungen Antibiotika. [14]  Antibiotika erfüll(t)en also ein ganzes Spektrum an Aufgaben. Sie dienen der Therapie, Lebensmittelsicherheit, Prophylaxe und der Effizienzsteigerung. [13] Die therapeutische Nutzung stellt hierbei nicht das eigentliche Problem dar, durch ihre kurze Dauer und kontrollierte Gabe wirkt sie Resistenzen eher entgegen. Dafür schafft eine langfristige und niedrig-konzentrierte Gabe zum Beispiel als Wachstumsfaktoren dagegen eine perfekte Situation zur Resistenzbildung, da sie eine leichten Vorteil für resistente Bakterien schafft, ohne die Population zu sehr zu schwächen [15]. Die sorglosen  Zeiten endeten in Europa spätestens mit den 90ern durch die Verbote von Chloramphenicol, Nitrofuranen, Nitroimidazolen und Vancomycin in der Tierhaltung [16]. Zwei Argumente standen im Vordergrund: das Verbot krebserregender Antibiotika und die Eindämmung von Resistenzen. Schließlich verbot die EU 2006 die Nutzung von Antibiotika als Wachstumsfaktoren in der Landwirtschaft vollständig [17]. Ein Prozess restriktiver Politiken folgte im Umgang mit Antibiotika in der europäischen Landwirtschaft. So verfolgt auch die Bundesregierung die Reduktionsstrategie DART2020 [18], wobei die Vergabe-Mengen bereits um über 50% von 2011 auf 2014 gesenkt wurden. Dennoch wird prognostiziert, dass der Verbrauch von Antibiotika in der Tierhaltung von 2010 bis 2030 global um weitere 67% ansteigen wird, vor allem in Ländern niedrigen und mittleren Einkommens [19]. Mit dem prognostizierten Anstieg der weltweiten Fleischproduktion und -nachfrage und dem verbundenen Umstieg der Tierhaltung von extensiver zu intensiver Produktion steigt hier auch der Bedarf an antimikrobiellen Wirkstoffen. Es wird bereits jetzt vermutet, dass weltweit mehr Antibiotika in der Landwirtschaft als in der Humanmedizin Verwendung finden [19].

Wie steht es aber nun um Landwirtschaft und Antibiotika? Reduktionsstrategien wie sie in Deutschland oder Dänemark scheinen erfolgreich, die Vergabe-Mengen wurden in beiden Ländern in kurzer Zeit um über 50% gesenkt [20]. Gleichzeitig zeigte sich aber am Beispiel Dänemark: die resistenten Erkrankungen beim Menschen nehmen trotzdem zu [21]. Die einfache Formel: “Nutztiere + Antibiotika = Kranke Menschen” geht nicht auf.  Das liegt vor allem daran, dass der Weg von Resistenzen nicht geradlinig vom Stall auf dem Teller bis ins Krankenhaus verläuft. Resistenzen folgen der Nutzung von Antibiotika entlang der gesamten Produktionskette. Während natürlich direkter Kontakt mit Tieren zur Übertragung resistenter Stämme führen kann, haben Verbraucher*innen nur indirekten Kontakt zu resistenten Stämmen durch Fleischprodukte und ihre Verarbeitung bei mangelnder Küchenhygiene oder durch Gemüse oder Obst, das mit Gülle gedüngt wurde. Über Gülle gelangen diese Stämme wiederum auch in den Boden und das Grundwasser [22]. Bakterien können nur nicht immer einfach vom Tier auf den Menschen übergehen. Die Besiedlung des Menschen ist oft nur zeitweilig und es handelt sich meist um vereinzelte Infektionen direkt vom Tier zum Menschen, obwohl es bedenkliche Ausnahmen gibt bei zoonotischen Erkrankungen, also Erregern, die Mensch und Tier gleichermaßen infizieren können. Die Wahrscheinlichkeit der Anpassung der Erreger an den Menschen steigt gleichzeitig aber mit der Zeit und Dauer des Kontaktes. Hinzu kommt die zunehmende Verbreitung und Ausbreitung resistenter Pathogene in den Tierpopulationen. Nicht nur die Erreger sind bedenklich, sondern vor allem manche ihrer Gene. Durch die Übertragung von Resistenzgenen mittels horizontalen Gentransfer oder mobilen genetischen Elementen können diese von tierischen auf menschliche Stämme übergehen oder auf die Mikrobiome in Boden und Gewässern [23]. Das heißt die landwirtschaftliche Nutzung von Antibiotika ist wohl nicht der vorrangige Auslöser von menschlichen Erkrankungen mit resistenten Bakterien, aber sie hat die Freisetzung dieser genetischen Elemente gefördert und ihre Ausbreitung entlang der Produktionskette angeregt [20]. Dieser Zustand ist aber vorerst nicht umkehrbar, da diese Gene mehr oder weniger stabil in den menschlichen Populationen verankert sind. Damit ist die Reduktion von Antibiotika in der Tierhaltung vor allem eine Notbremse, die einen (wenig zufriedenstellenden) Status Quo herstellt, indem sie eine Quelle neuer Resistenzen behebt, aber es stellt eben keine endgültige Lösung dar.

Was nun?

Wie sieht nun die Zukunft der landwirtschaftlichen Antibiotika-Nutzung aus? Die entscheidende Doktrin ist relativ simpel: „so wenig wie möglich, so viel wie nötig“, wie sie auch schon die DART2020-Strategie umschreibt [18]. Die Nutzung bestehender Medikamente muss hier auf den neuesten Stand gebracht werden. Moderne Verfahren ermöglichen Diagnostik, die den Erregertyp relativ genau bestimmen kann. So kann ein genau passendes Antibiotikum gewählt werden, welches (im Idealfall) nur auf den Erreger wirkt. Das Zauberwort ist hierbei personalisierte Medizin, die am einzelnen Patienten bzw. am einzelnen Tier orientiert ist. Wie auch in der Humanmedizin ist eine detaillierte Diagnostik und Therapiegestaltung einer der großen nächsten Schritte in der Veterinärmedizin [24].

Aber bessere Diagnostik ist natürlich nicht alles, es braucht konkrete Alternativen zur Therapie und Prävention von Erkrankungen. Prävention ist das höchste Gebot, denn ein Tier, das nicht erkrankt, benötigt logischerweise keine Behandlung. Hierbei wird besonders an zwei Schutzschilden des Organismus geschraubt: an dem Mikrobiom und dem Immunsystem [25]. Das Mikrobiom ist die Gesamtheit der hilfreichen mikroskopisch-kleinen Untermieter, die sich die Schleimhäute, Haut und Darm von Menschen oder Tier als ihren Arbeitsplatz ausgesucht haben. Sie leisten hierbei wichtige Aufgaben, indem sie z.B. die Verdauung von Nahrung verbessern, aber eben auch krankheitserregende Mikroben zurückhalten und verdrängen. Als Probiotika bezeichnen wir nun die Gabe von solchen hilfreichen Bakterienstämmen oder Hefen, um das Mikrobiom zu ergänzen. Gewisse Clostridien, Hefen und Milchsäurebakterien können so die Besiedlung mit krankheitserregenden Keimen reduzieren. Dagegen sind Präbiotika Nährstoffe für hilfreiche Mikroben bspw. der Zucker Mannose, die ihnen damit eine bessere Nährstoffversorgung sichern. Kombiniert man nun Prä- und Probiotika so bezeichnet man diese als Synbiotika. Diese Methoden immunisieren zwar nicht, senken aber die Krankheitsanfälligkeit, indem sie das Mikrobiom stabilisieren und einen gesunden Zustand erhalten. Wobei die tatsächliche Effektivität noch genau erforscht wird und auch die Grundlagenforschung im Bereich des Mikrobioms noch weit davon entfernt ist, die komplexen Interaktionen zwischen Mikroben und Säugern zu entschlüsseln [25]. Im Fokus der zukünftigen Forschung könnten auch genetisch veränderte Hefen und Bakterien stehen, die antimikrobielle Substanzen oder Enzyme im Darm produzieren, wobei diese Ansätze noch Zukunftsmusik sind [26].

Dann wäre noch das Immunsystem, die Vielfalt an Zellen und Enzymen, die einem Säugetier helfen Bakterien, Viren, Parasiten und ähnliche Plagegeister aus dem Körper zu entfernen. Die wichtigsten Mittel die wir hier nutzen, sind Impfungen, da sie bis zu lebenslange Immunität gegen gewisse Krankheiten vermitteln können. Impfungen gegen entscheidende resistente Stämme wie Staphylcoccus aureus befinden sich in klinischen Tests für die menschliche Nutzung, wobei sich diese Entwicklung auch auf landwirtschaftlich relevante Stämme ausweiten wird und hierbei gerade zoonotische Erreger ein wichtiges Ziel werden könnten [27]. Genauso können Antikörper-Mischungen kurzfristig zur Bekämpfung von Bakterien eingesetzt werden [26]. Dann blieben noch Immunmodulatoren, eine Mischung verschiedenster Substanzen die Säuger selbst bilden, um ihr Immunsystem zu koordinieren und regulieren. So konnten besondere Botenstoffe, die Cytokine, wie Interferon und Interleukin, welche die Bildung von Immunzellen und die Immunantwort stimulieren, bereits in Kühen genutzt werden, um die Entzündung des Euters (Mastitis) zu behandeln [26]. Damit zeigt die Immunantwort eine ganze Reihe spannender Anwendungsbereiche und könnte gerade durch die Möglichkeit einer lebenslangen Immunität entscheidend helfen bakterielle Erkrankungen vorzubeugen und zoonotische Krankheiten im Menschen und Tier zu bekämpfen.

© Anna Vanessa Kaiser

Aber was, wenn Prävention scheitert? Hier forschen gerade zig Forschungsgruppen weltweit an Alternativen, die sich von den klassischen (halb-)synthetischen und natürlichen Antibiotika abheben. Therapeutische Optionen wie Bakteriophagen oder neuartige anti-bakterielle Substanzen können Bakterien gezielt abtöten oder hemmen. Bakteriophagen, der Publikumsliebling jeder Antibiotika-Debatte [28]. Das sind die abgespaceten Viren, die ein wenig aussehen, als wären sie direkt aus einem Science-Fiction-Roman entstiegen, um den Krieg zwischen den Welten zu beginnen. Viren sind die kleinen Biohacker der Natur und injizieren ihr genetisches Material in fremde Zellen um deren Stoffwechsel zu übernehmen um Kopien von sich selber herzustellen, was die Wirtszelle in dem Fall ein pathogenes Bakterium tötet. Viren sind keine „toten“ Moleküle, sie passen sich an ihre Wirte an und mutieren mit Ihnen und vermehren sich durch die Wirtszelle. Das macht sie zu interessanten antimikrobiellen Therapien, da sie sich an den Erreger anpassen und in diesem vervielfältigen, aber andere Bakterien außen vorlassen. Der Einsatz von Phagen in Nutztieren wird zurzeit erforscht, so kann eine Mischung aus fünf Phagen beigemischt in das Futter oder Wasser von Hühnern/Geflügel die Probleme mit Darmentzündungen reduzieren [29]. Auch Lebensmittelsicherheit könnte mit Phagen verbessert werden. Fleischprodukte werden bei der Schlachtung oft mit Darmbakterien verunreinigt. Sicher bekanntestes Beispiel sind Salmonellen: hier konnte mit Zufütterung von Phagen-Mischungen die Belastung des Darms von Schweinen um bis zu 95 % reduziert werden [30]. Klingt großartig?! Wo ist das Problem? Erstens: Bakterien können resistent werden gegen ihre Phagen. Dazu nutzen Bakterien beispielsweise das berüchtigte CRISPR/Cas9, um die genetische Information der Phage wieder aus dem Genom herauszuschneiden. Daher müssen Mischungen von Phagen verwendet werden, um die Resistenzbildung zu hemmen, wobei die theoretisch beliebige Vielfalt an Phagen diese Resistenz nicht derart problematisch, wie bei Antibiotika macht. Gleichzeitig besteht die Gefahr des Phagen genetisches Material von einem Bakterium zum nächsten verschleppen, eben auch im Fall von Resistenz-Genen. Damit passende Phagen entwickelt werden können muss der Erreger genau bestimmt werden, ansonsten wirken die Phagen meist nicht. Das Immunsystem des Tieres kann gleichzeitig genauso auf die Viren wie die Bakterien reagieren und diese abtöten. Der Zeitpunkt des Einsatzes ist dabei ebenfalls entscheidend. Bei zu spätem Einsatz der Therapie kann es sein, dass die Phagen keine Wirkung zeigen [31].

Die andere große Säule ist die Vielfalt neuer Wirkstoffe, zum Beispiel antimikrobielle Peptide, kleine Aminosäureketten, die Säuger, Fische, Amphibien usw. in ihrer eigenen Immunantwort gegen Bakterien richten oder virale Enzyme sogenannte Lysine, welche die Zellwände von Bakterien aufbrechen können [26]. Außerhalb aller therapeutischen Optionen sind als alternative Wachstumsfaktoren Enzyme wie Proteasen (Protein-abbauende Enzyme) und Phytasen in Diskussion. Diese helfen bei der Freisetzung schwer zugänglicher Nährstoffe und reduzieren gleichzeitig den Nährstoffgehalt der Gülle (Stichwort Überdüngung) und helfen bei der Nahrungsverwertung [26].

Keine dieser Lösungen ist perfekt oder eine vollständige Alternative für Antibiotika, sondern eher Ablösungen für Teilbereiche der Antibiotika-Nutzung. Gleichzeitig müssen Alternativen große Hürden überwinden, um echte Lösungen zu sein. Sie dürfen weitere Resistenzbildung nicht fördern, keine umweltbelastenden Rückstände hinterlassen, müssen einfach anzuwenden und kostengünstig sein, um den Antibiotika echte Konkurrenz zu machen. Das heißt: hier braucht es vor allem Forschung und Modellprojekte, um diese Bedenken beantworten zu können. Trotz alledem muss die Zeit der „klassischen“ Antibiotika noch nicht vorüber sein. Wissenschaftler*innen weltweit entdecken immer wieder neue Substanzen. Damit diese Erfolge Mensch und Tier zur Verfügung stehen, muss aber Geld in die Entwicklung und Forschung fließen. Nachdem Konzerne dieses Geschäft zunehmend verlassen haben (wobei man von Marktversagen spricht [32]), muss hier z. B. die internationale Staatengemeinschaft einspringen oder private und öffentliche Forschungsprojekte [33], denn nur neue Generationen von Medikamente werden mittelfristig die Krise abwenden können, da Antibiotika trotz aller neuen Optionen unser bestes Werkzeug sind im Kampf gegen krankheitserregende Bakterien. Am Ende wird es beides benötigen – neue Therapieoptionen, die Antibiotika auf die notwendigsten Anwendungen beschränken und neue Antibiotika, die sicherstellen, dass immer ein wirksames Medikament verfügbar ist.

Fazit:

Antibiotika sind nicht irgendwelche Medikamente, sie sind eine gesellschaftliche Versicherung, die uns im Krankheitsfall auffängt. Ihre Wirksamkeit ist damit lebensnotwendige Bedingung und Versprechen. Natürlich könnten wir nun fordern, dass Antibiotika nur dem Menschen zustehen sollten, aber mit der Haltung von Nutztieren kommt auch eine Verantwortung für die Gesundheit von Tier und Mensch, die wir nur mit antimikrobiellen Wirkstoffen zufriedenstellend beantworten können. Gerade die Gefahr von Zoonosen  macht klar, dass wir Mittel benötigen, um die Gesundheit unserer Nutztiere auch im eigenen Interesse zu sichern. Dennoch ist es richtig, Haltungs-Konzepte zu hinterfragen. Intensive Tierhaltung hat die Evolution von pathogenen Bakterien angeheizt und vorangetrieben, ob nun resistent oder nicht [34]. Diese Problematik benötigt Lösungsansätze, innerhalb der bestehenden Konzepte oder vollständig neue Herangehensweisen. Pragmatisch gesehen werden wir aber weltweit mit den bestehenden Prognosen noch einige Jahrzehnte steigender Antibiotika-Nutzung in der zunehmend nach heutigem Vorbild intensivierten Tierhaltung verfolgen können. Es ist also von allgemeinem Interesse, eine bessere Strategie im Umgang mit antimikrobiellen Wirkstoffen zu entwickeln, als wir sie in den letzten 70 Jahren betrieben haben. Auch reicht es nicht, die Landwirtschaft im Kampf gegen Resistenzen alleine in die Verantwortung zu ziehen. Eine zufriedenstellende Lösung wird nur ein Konzept wie die “ONE-Health”-Strategie bieten können, die alle antibiotika-verbrauchenden Sektoren adressiert [35]. Hierbei muss Mensch, Tier und die Auswirkung auf die Umwelt wahrgenommen werden, da die Auswirkungen von Antibiotika sich über die gesamte Umwelt und Gesellschaft erstreckt. Der Kampf gegen Antibiotikaresistenzen ist hierbei eine globale Krise, die wir nur gemeinsam lösen können. Mit innovativen Behandlungsoptionen und einer fortschreitenden Reduktion kann die Landwirtschaft aber in Europa Pionierarbeit leisten auf dem Weg zu einer Zukunft, die zwar weiterhin „antibiotisch“, aber vor allem verantwortungsbewusst ist.

 

Quellen (Stand 05.03.2020):

[1] Tackling drug-resistant infections globally: Final report and recommendations – The Review on antimicrobial resistance

[2] A Brief History of the Antibiotic Era: Lessons Learned and Challenges for the Future

[3] https://www.worldofmolecules.com/drugs/penicillin.html

[4] https://kurier.at/wissen/90-jahre-antibiotika-die-keime-sind-uns-haushoch-ueberlegen/400106243

[5] https://www.pbs.org/newshour/health/the-real-story-behind-the-worlds-first-antibiotic

[6] Acquired resistance to penicillin and to neoarsphenamine in spirochaeta recurrents

[7] The multifaceted roles of antibiotics and antibiotic resistance in nature

[8] A roadmap for natural product discovery based on large-scale genomics and metabolomics

[9] Six Groups of the OXY β-Lactamase Evolved over Millions of Years in Klebsiella oxytoca

[10] Antibiotic resistance and its cost: is it possible to reverse resistance?

[11] Bacterial charity work leads to population-wide resistance

[12] Pharming animals: a global history of antibiotics in food production (1935–2017)

[13] Use of antibiotics as feed additives: a burning question

[14] Pharming animals: a global history of antibiotics in food production (1935–2017)

[15] Food Animals and Antimicrobials: Impacts on Human Health

[16] Anstrengungen der Tiermedizin zur Reduktion von Antibiotikaresistenzen

[17] EU-weites Verbot von antibiotischen Leistungsförderern in Futtermitteln

[18] DART 2020 – Deutsche Antibiotika-Resistenzstrategie

[19] Global trends in antimicrobial use in food animals

[20] https://www.bfr.bund.de/de/fragen_und_antworten_zu_den_auswirkungen_des_antibiotika_einsatzes_in_der_nutztierhaltung-128153.html

[21] Antibiotikaeinsatz: Vorbild Dänemark?

[22] Antibiotic Resistance in the Food Chain: A Developing Country-Perspective

[23] Antibiotics in agriculture and the risk to human health: how worried should we be?

[24] Addressing Antimicrobial Resistance: An Overview of Priority Actions to Prevent Suboptimal Antimicrobial Use in Food-Animal Production

[25] Alternatives to Antibiotics: Why and How

[26] Alternatives to antibiotics: a symposium on the challenges and solutions for animal production | Animal Health Research Reviews

[27] The role of vaccines in fighting antimicrobial resistance (AMR)

[28]  Phagentherapie: Mit Viren auf Bakterienjagd | ZEIT ONLINE

[29] Bacteriophage therapy for control of necrotic enteritis of broiler chickens experimentally infected with Clostridium perfringens. 

[30] Phage therapy to reduce preprocessing Salmonella infections in market-weight swine.

[31] Framing the Future with Bacteriophages in Agriculture

[32] Antibiotika-Krise: „Eine Milliarde ist eine faire Zahl“

[33] http://www.oecd.org/els/health-systems/G20-AMR-Final-Paper-2017.pdf

[34] Intensive Farming: Evolutionary Implications for Parasites and Pathogens

[35] WHO | One Health

Christian Kaiser

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